Bassam Tibi zur Neuauflage: Man kann ohne Kenntnis der Geschichte nicht sachgemäß über den Islam reden. Der Islam geht Deutschland in zweierlei Hinsicht an: Einmal bildet der Nahe Osten als Kern der Welt des Islam die internationale Umgebung Deutschlands und zum anderen leben hier, unaufhaltsam zunehmend, mindestens 6,5 Millionen Muslime. Das amerikanische PEW Center in New York prognostiziert für 2050 den Anstieg bis auf ca. 20% muslimischer Bewohner Deutschlands. Um diesen Missstand des Unwissens zu lindern, lade ich dazu ein, mein neuestes Buch über islamische Geschichte zu lesen. Vorab diese Notiz: Dieses Buch habe ich nicht als Islamwissenschaftler, sondern als Islamologe geschrieben. Islamologie geht von realer Geschichte und von gesellschaftlichen Realitäten, nicht vom heiligen Text aus. Im Sinne einer Einladung zur Lektüre möchte ich dieses Buch im Folgenden vorstellen, darauf hoffend Neugierde auf die Lektüre zu wecken. Es handelt sich um eine Neuausgabe 2017, die aus einer umfangreichen neuen Einleitung (S. 17-81) sowie aus fünf Kapiteln besteht. Das aktuellste Kapitel hierunter ist das abschließende Kapitel V über Hidjra, d.h. Migration im Islam verstanden als Völkerwanderungen. Hidjra dient der Verbreitung des Islam, ein Fakt islamischer Geschichte. Die angeführte aktuell geschriebene Einleitung hat zwei Schwerpunkte: Aufklärung im mittelalterlichen Islam und im Gegensatz dazu der Islamismus der Zeitgeschichte. Zu dieser Zeitgeschichte gehören die seit 2015/16 ausgelösten islamischen Völkerwanderungen nach Europa, die in Kapitel V auf der Basis soliden und ideologiefreien Wissens im Mittelpunkt stehen. Mein neues Buch Islamische Geschichte und deutsche Islamwissenschaft versteht sich als ein Beitrag in die Richtung einer Aufklärung durch einen neuen Lernprozess über den Islam. Die anderen Kapitel bieten zunächst Grundwissen über islamische Geschichte (Kap. I) und über Djihad im Islam (Kap. II). Dann befasse ich mich mit den vorurteilsbeladenen europäischen Studien über den Islam (Kap. III und IV). Was früher eine Verteufelung des Islam war, ist heute das Gegenteil hiervon: Verherrlichung. Das hier vorgestellte Buch Islamische Geschichte bietet ausbalanciertes Sachwissen über den Islam und über das Gezänk darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Statt Gezänk benötigen wir eine Sachdebatte.
Tibi plädiert dafür, die klassische Islamwissenschaft abzuschaffen und zugunsten einer soziologischen und geschichtswissenschaftlichen Disziplin, die sich mit dem Islam als Weltzivilisation auseinandersetzt, zu ersetzen. Diese Disziplin nennt er Islamologie. Dahinter steht sein Vorwurf, dass die Islamwissenschaft als Teil der Philologie dem Anspruch einer gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema nicht gerecht werden könne. Damit legt Tibi den Finger tatsächlich in eine offene Wunde; nämlich die Frage, weshalb die historisch gewachsene Einbettung der Orientalistik in die sprachwissenschaftlichen Fakultäten, nämlich die der Arabistik, bis heute institutionell verankert ist. dis:orient, 01.11.2019