Die Regeln über die Quellenbesteuerung grenzüberschreitender Zahlungen sind international weitgehend nicht harmonisiert. Unternehmensgruppen können folglich die Art und das Ausmaß einer Quellenbesteuerung ihrer Einkünfte über standortbezogene Entscheidungen direkt beeinflussen. Der hieraus resultierende Anreiz zur Zwischenschaltung substanz- und funktionsloser Gesellschaften in Staaten, die über den Anwendungsbereich eines besonders vorteilhaften DBAs (Treaty-Shopping) oder einer Richtlinie (Directive-Shopping) quellensteuerliche Vergünstigungen bieten, stellt ein Kernproblem des internationalen Steuerrechts dar.
Sowohl das OECD-MA als auch das europäische Sekundärrecht kennen Abwehrmaßnahmen gegen das Treaty- und Directive-Shopping. Das nationale Instrumentarium umfasst hingegen insbesondere die spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG, während andere europäische Staaten vergleichbare unilaterale Maßnahmen ergriffen haben. Regelmäßig laufen jene Vorschriften aber Gefahr, in ihrer konkreten Ausgestaltung mit den einschlägigen Bestimmungen des Europarechts zu kollidieren.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht zum einen in der Aufarbeitung des Problems des Treaty- und Directive-Shoppings aus juristischer und ökonomischer Sicht, was insbesondere auch eine Grenzziehung zu legitimer Steuerplanung mit einschließt. Zum anderen werden § 50d Abs. 3 EStG sowie korrespondierende Vorschriften ausgewählter anderer EU-Staaten analysiert und einer kritischen Würdigung unterzogen. Neben Erkenntnissen zu Anwendungsproblemen und zu europarechtlichen Stärken und Schwächen der Vorschriften werden auch Schlussfolgerungen zu einer möglichen Konvergenz bzw. Divergenz des entsprechenden bereichsspezifischen Missbrauchsmaßstabs in der EU abgeleitet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Prinzipien der Quellenbesteuerung von Kapitalgesellschaften im Binnenmarkt
2.1. Rahmenbedingungen der Quellenbesteuerung im Binnenmarkt und Herleitung von Beurteilungskriterien
2.2. Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse im Binnenmarkt
2.3. Quellenbesteuerungssystem in Deutschland
2.4. Würdigung des Quellenbesteuerungssystems de lege lata
3. Aggressive Steuerplanung und Gestaltungsmissbrauch im europäischen Quellenbesteuerungssystem
3.1. Sog. aggressive Steuerplanung als Gegenstand von Initiativen internationaler Institutionen
3.2. Das Institut des Gestaltungsmissbrauchs im deutschen Steuerrecht
3.3. Das Institut des Gestaltungsmissbrauchs im europäischen Steuerrecht
3.4. Zusammenfassung und Ergebnis: Elemente einer unzulässigen Steuerplanung und Würdigung des Begriffs der aggressiven Steuerplanung der EU-Kommission
3.5. Missbrauch im europäischen Quellenbesteuerungssystem (Treaty-/Directive-Shopping)
4. Kritische Analyse des § 50d Abs. 3 EStG i. d. F. d. BeitrRLUmsG
4.1. Grundlegende Einordnung und Entstehungsgeschichte
4.2. Persönliche Tatbestandsmerkmale
4.3. Sachliche Tatbestandsmerkmale
4.4. Ermittlung der Entlastungsberechtigung
4.5. Rechtsfolge
4.6. Feststellungs- und Beweislast
5. Würdigung des § 50d Abs. 3 EStG vor dem Hintergrund des europäischen Sekundärrechts und ökonomischer Gesichtspunkte
5.1. Einordnung
5.2. Vorliegen von Missbrauch dem Grunde nach - Würdigung der Aufgriffskriterien des § 50d Abs. 3 Satz 1-4 EStG
5.3. Vorliegen von Missbrauch der Höhe nach - Würdigung der Aufteilungsklausel des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG
5.4. Ergebnis
6. Anti-Treaty- und Anti-Directive-Shopping in ausgewählten EU-Staaten: Ergriffene Maßnahmen und Umsetzung der Missbrauchsklauseln der Mutter-/ Tochter- und Zins-/Lizenz-Richtlinie
6.1. Einleitende Anmerkungen
6.2. Österreich
6.3. Spanien
6.4. Die Niederlande
6.5. Abschließende Anmerkungen und Schlussfolgerungen
7. Thesenförmige Zusammenfassung