Besprechung vom 09.08.2025
Figuren des Widerstands
Im Zwiespalt zwischen Recht haben und sich im Recht glauben: Daniela Strigl widmet sich dem Trotz und trifft damit auch einen Nerv heutiger Befindlichkeiten.
Mit dem simplen Wort "Trotz" besitzt die deutsche Sprache einen Ausdruck, um den andere sie beneiden könnten, wäre die Sache selbst nicht so unerfreulich. Oder ist sie das gar nicht? Trotzköpfe und Querulanten im Trotzmodus sind etwas, das irritiert. Manchmal aber auch etwas, das imponiert, ergänzt Daniela Strigl ganz richtig. Denn hinter dem starrköpfigen Eigensinn des Trotzes verbergen sich manchmal auch Standhaftigkeit, Mut und Widerstandskraft. Der Trotz bewege sich im Zwiespalt von Recht haben und sich im Recht glauben, schreibt die Autorin und trifft mit ihrem Buch einen Zentralnerv der gegenwärtig nervösen Befindlichkeit: "Woke"- und Antiwokekämpfer, Klimaaktivisten, Impf-, Steuer- und sonstige Verweigerer, Verschwörungs- und Weltrettungsbewegte nehmen alle irgendwann die Position einer trotzigen Absage ein.
Diesem Zweifelsfall zwischen Tugend und Untugend auf den Grund zu gehen, ist deshalb eine vorzügliche Idee. Aus einer kurzen lexikalischen Klärung ergibt sich da zunächst die Einsicht, dass das Wort "Trotz" offenbar erst in neuerer Zeit die einseitig defensive Bedeutung des Widerstands gegen eine Übermacht angenommen hat. Erst im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts sei die ursprüngliche Dimension eines kämpferisch tapferen Draufgängertums allmählich hinter jene des machtlosen, oft kindlichen oder weiblichen Quengelns zurückgetreten, schließt die Autorin aus den historischen Wörterbüchern.
Die psychologischen und psychoanalytischen Erklärungsmodelle des Trotzes als Frustration aus dem Konflikt zwischen Wollen und Können werden im Buch aus der kritischen Perspektive von Karl Kraus und Peter Sloterdijk zügig abgehandelt und beiseitegelegt. Auch im hochaktuellen Kapitel über den Zusammenhang von Recht, Gesetz und Gerechtigkeit, das heißt von Legalität und Legitimität, behilft Daniela Strigl sich weitgehend mit Verweisen auf andere Autoren. Das Problem ist dabei, dass das Hauptthema Trotz ins breite Fahrwasser anderer Begriffe gerät - wie Hass, Aufstand, Rebellion, Revolution - und im Strudel der Argumente verschwommen mittreibt.
Als symptomatisches Phänomen dienen in diesem Zusammenhang die Figur des Wilderers und der von Marx 1842 im Aufsatz über das "Holzdiebstahlgesetz" aufgegriffene Wald- und Holzfrevel. Wenn Unbefugte aus dem Volk in herrschaftlichen Domänen Rehe schossen oder Bauern im Wald nicht immer nur abgefallenes Totholz zum Heizen sammelten, war neben dem unmittelbaren Eigennutzen meistens auch ein trotziges Anfechten der bestehenden Rechtsordnung mit im Spiel. Dieser Streit über legales und legitimes Verhalten setzt sich bis zur heutigen Debatte des zivilen Ungehorsams weiter fort und hat in der Unbeugsamkeit Antigones gegenüber Kreon eine ferne prägende Symbolfigur.
Mehr als um eine allgemeine Diskussion über Gehorsamsverweigerung, Rechtsbruch und moralisch-politisches Gewissen geht es der Autorin, die als Literaturkritikerin auch regelmäßig für die F.A.Z. schreibt, aber um literarische Beispiele und Querverweise. Ihre Hauptreferenz für den Trotz ist erwartungsgemäß Kleists "Michael Kohlhaas". Mit Feingefühl und ziemlich offener Sympathie umkreist sie die möglichen Motive des gedemütigten Rosshändlers, der den Kampf für sein Recht auf Wiedergutmachung durch Selbstjustiz in Rache und Terror umschlagen lässt und zuletzt auf dem Schafott besänftigt die Strafe für seine Gewaltakte hinnimmt. Neben diesem Archetyp des Trotzes werden gut ein halbes Dutzend weiterer "Figuren des Widerstands" durchgespielt und mit einer beeindruckenden Vielzahl von literarischen Gestalten und Motiven illustriert.
Vom rebellischen Bauern in Peter Roseggers angeblichem Heimatroman "Jakob der Letzte", in dem Strigl subtil einen verborgenen Antihelden ausmacht, reichen die Beispiele über die Wilddiebe und Waldfrevler bei Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saar, Annette von Droste-Hülshoff, über Heinrich Bölls Kontextualisierung des RAF-Terrorismus in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", die unterschiedlichen Darstellungen Antigones bei Goethe, Anouilh, Simone Weil oder Johannas von Orleans bei Schiller, George Bernard Shaw, Leonard Cohen bis zu den Figuren des Desperados im Film "Taxi Driver" und des Amokläufers in Handkes Erzählung "Der Große Fall". Das dafür notwendige Nacherzählen und Erklären schwillt dabei allerdings zur Paraphrase an und schüttet kommentierend die großen Argumentationslinien zu. Auch werden literarische Beispiele, historische Ereignisse wie der Tiroler Freiheitskampf 1809 gegen die französisch-bayrische Okkupation sowie Gegenwartserscheinungen wie Wutbürger oder Klimakleber zu sehr vermischt, so als lägen sie auf derselben Realitätsebene. Wenn mitten in den Ausführungen über Kohlhaas' Gefolgschaft aus Räubern, Knechten und anderen sozial Deklassierten plötzlich vom Sturm der Trump-Anhänger 2021 aufs Kapitol die Rede ist, trägt diese Überlagerung wenig bei zur Erhellung des "Janusgesichts von Trotz und Rebellentum".
Den Schlüssel für das Übergewicht der Literatur in diesem Buch bringt das Schlusskapitel, das man - dies ein Lesevorschlag - auch als eine verkappte Einführung nehmen kann. "Womöglich ist die Kunst, die Literatur selbst eine Form von Trotz", schreibt die Autorin. Das läuft keineswegs auf eine Selbststilisierung unter Literaten zum Widerstandskampf gegen den Zeitgeist hinaus. Es ist ein Plädoyer für einen Freiraum des Nutzlosen, nicht unmittelbar Auswertbaren, gegenüber einer in Schulprogrammen und Kommunikationsstandards jargongeladen sich durchsetzenden Forderung nach enger Sachkompetenz und Sofortverwertung allen Wissens. Mit diesem Zielgedanken bringt die feinsinnige Literaturkennerin im Schlussteil des Buchs ihr Thema fulminant und überzeugend zur vollen Entfaltung. JOSEPH HANIMANN
Daniela Strigl: "Zum Trotz". Erkundung einer zwiespältigen Eigenschaft.
Residenz Verlag, Wien 2025. 160 S., br.,
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