Es brodelt in unseren Küchen. Manfred Kriener steht am Herd und misst Koch und Köchin den Puls. Dieses Buch ist kein Ratgeber. Es sagt nicht, was wir essen sollen oder dürfen. Stattdessen serviert es ein Informationspaket, damit der Verbraucher als Souverän über seinen Teller sich kompetent orientieren und selbst entscheiden kann. Nach seinen eigenen Wertmaßstäben. Dieses Buch ist ein Sparringspartner für nachdenkliche Verbraucher.
Es wird hierzulande zwar pausenlos über Ernährung geredet, aber oft fehlt es an Wissen und Beurteilungsvermögen. In dieser unübersichtlichen Gemengelage informiert dieses Buch darüber, was wir jeden Tag essen, aber lieber nicht so genau wissen wollen. Es informiert, ohne den Sirenenton der Alarmisten, über die rasante Veränderung unserer Esskultur - in dichter Informationsschreibe und mit humorigen Zuspitzungen, für die der mehrfach ausgezeichnete Autor bekannt ist.
Wer dieses Buch gelesen hat, geht mit anderen Augen einkaufen. Es schult Skepsis und Kompetenz der Leser, damit sie nicht auf die oft dubiosen Speiseempfehlungen und -moden hereinfallen. Es ist auch ein Buch gegen Ernährungsfanatismus und für selbstbewussten Genuss.
Mit einem Vorwort von Vincent Klink.
Besprechung vom 07.09.2020
Was auf den Teller kommt
Über den Wandel der Nahrungsmittel-Industrie
"Die Schlachthöfe markieren eine der letzten Tabuzonen unserer Lebenswelt", sagt Manfred Kriener: "Die Fleischindustrie versucht, diese Unorte aus unserem Bewusstsein herauszuhalten". In seinem Buch beschreibt der Wissenschaftsjournalist den typischen Schlachthof mit Fließband, Leiharbeitern und Massenunterkünften. Was Kriener noch als "im Grunde verbotenes Terrain" schilderte, geriet im Sommer durch Fernsehbilder von Corona-Massenausbrüchen bei Tönnies & Co. in den Blick der Öffentlichkeit. Das Sinnieren über "toxisches Fleisch" avancierte damit zum aktuellsten Kapitel in Krieners faktenreichem, unterhaltsam zu lesendem 240-Seiten-Taschenbuch.
Der Buch-Titel "Leckerland ist abgebrannt" spielt mit einer Vers-Zeile aus dem alten Kinderlied "Maikäfer flieg"und geht das ernste Thema von Tricks, Auswüchsen und Lügen in der Nahrungsmittel-Industrie eher locker an. Die Rundtour durch die Branche führt über Fleisch und Fisch zu Vegan, Bio, Superfood, Wein und Zucker. Elf Kapitel bieten vielfältige Information, wie der Wirtschaftszweig oft unsichtbar, aber immer einträglich das Feld bestellt und unermüdlich neue Essensmoden generiert: "Was die Kundschaft nachfragt, wird registriert." Wobei auch die Verbraucher mit Hinweisen auf Veganer-Radikalität, buntes Teller-Posting und das letztlich wenig umgesetzte Bekenntnis zum Fleischverzicht nicht ungeschoren bleiben. Das Buch konfrontiert mit den engen Ställen konventioneller Massentierhaltung, aber ebenso mit kranken Tieren auf Bio-Höfen und in den Netzkäfigen mariner Fischzucht. Es berichtet über Labore und Start-ups weltweit, die an Fleisch aus dem Reagenzglas werkeln, und beschreibt, wie der erste Burger aus Stammzellen schmeckte. Es erläutert, warum Zucker so gern als Füllsel für Produkte aller Art dient und warum Zuchtlachse in den riesigen norwegischen Marinefarmen neuerdings mit Soja aus Südamerika gefüttert werden. Das Kapitel über die Aquakultur verdirbt dem Leser den Appetit auf Lachs - mit der Schilderung, wie mit Insektiziden gegen Parasiten gekämpft wird. Nicht zuletzt solches Wissen hilft, um gegebenenfalls durch Abstinenz wieder Herr über den eigenen Teller zu werden. Ansonsten rät Kriener: "Kochen Sie selbst so oft wie möglich!" Er empfiehlt, vor allem industrielle Fertiggerichte wegen ihrer Unmengen Zusatzstoffe und Zucker zu meiden. "Wer selbst einkauft und kocht, der weiß nicht nur, was er isst. Der macht sich allmählich auch lebensmittelschlau."
ULLA FÖLSING
Manfred Kriener: "Leckerland ist abgebrannt. Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur", Hirzel-Verlag, Stuttgart 2020, 240 Seiten
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