
Besprechung vom 19.11.2025
Gleich und Gleich besitzt sich gern
Charlotte Sabourin untersucht die universalistische Mitgift des Eheverständnisses von Immanuel Kant
Als die französische Nationalversammlung im August 1789 die "Déclaration des droits de l'homme et du citoyen" verabschiedete, waren Frauen von den Worten "hommes" und "citoyen" nicht mitgemeint. Das war von Anfang an umstritten, wie die 1791 von Olympe de Gouges verfasste "Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne" zeigt. Mit dem Aufsatz "Sur l'admission des femmes au droit de cité" ging ihr Condorcet noch um ein Jahr voran, und 1792 folgte in England Mary Wollstonecrafts "A Vindication of the Rights of Woman". An diese Diskussion wurde auch in deutschsprachigen Ländern angeknüpft, wo Wollstonecrafts Abhandlung 1793 in Übersetzung erschien und Theodor Gottlieb von Hippel mit "Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" 1794 das erste Werk deutscher Sprache veröffentlichte, das gleiche Rechte für Frauen forderte.
Während sich in der heutigen Publizistik jene als Erben der Aufklärung inszenieren, die Frauen- und Minderheitenanliegen zum spalterischen Partikularismus umdeuten, statt in ihnen einen konsequenten, zu Ende gedachten Universalismus zu erkennen, zeigen solche Quellen, wie sehr die historische Aufklärung von Kontroversen um die Verallgemeinerung zunächst nur vorgeblich universeller Rechte geprägt war. Als wichtiges Foyer der Diskussion um Frauenrechte kristallisierten sich dabei noch vor der Französischen Revolution Debatten um die Natur der Ehe heraus. Die berühmte Kontroverse um die Frage "Was ist Aufklärung?" zwischen Autoren wie Moses Mendelssohn oder Immanuel Kant nahm hier ihren Ausgang. Gestellt wurde die Frage 1783 von dem Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner in der Fußnote eines Aufsatzes in der "Berlinischen Monatsschrift", der auf den dort zuvor erschienenen "Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemühen" des Popularphilosophen Johann Erich Biesters antwortete.
Vor allem aufgrund der Vergegenwärtigung solcher Kontexte liest man das Büchlein der kanadischen Philosophin Charlotte Sabourin "Kant on Marriage" (Cambridge University Press 2025) mit Gewinn. Da sie in einem für Philosophiegeschichte ungewöhnlich hohen Maß fachfremde Diskurse unter Juristen und den wenigen publizierenden Frauen der Zeit wie Marianne Ehrmann oder Emilie von Berlepsch aufarbeitet, gelingt Sabourin der Balanceakt, weder den exklusionären Charakter einiger Ansichten Kants zu vernachlässigen noch zu unterschlagen, wie fortschrittlich er dachte. Statt inzwischen errungene Fortschritte im Geschlechterverhältnis anachronistisch als Fallbeil über Kant herabsausen zu lassen, misst Sabourin seine Ansichten zur Ehe an denen seiner Zeitgenossen.
In seiner Rechtslehre von 1797 führt Kant aus, dass sich Menschen zu Sachen machten, wenn sie wechselseitig von ihren Geschlechtsorganen Gebrauch machten. Im "commercium sexuale" drohten wir die Menschheit in der eigenen wie der anderen Person zu erniedrigen. Vor diesem Hintergrund sieht Kant die Ehe als diejenige Verbindung zweier Personen, die Sexualität ermöglicht, ohne gegen die Menschheitszweckformel zu verstoßen - in der "Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen" können, ohne sich zum bloßen Mittel zu degradieren. Wie Sabourin hervorhebt, geht Kant insoweit über damals verbreitete Ansichten hinaus, als er die Ehe vom Zweck der Kinderzeugung entkoppelt und Sexualität zum bloßen Genuss für statthaft hält - weswegen inzwischen auch diskutiert werde, ob er nicht auch gleichgeschlechtliche Ehe- und Sexualverhältnisse hätte befürworten müssen, die er für unnatürlich hielt. Auch wenn heute kaum mehr plausibel ist, dass sich Menschen beim Sex nur in der Ehe immer auch als Zweck achten können, hebt Sabourin treffend hervor, dass kantische Motive in Konzepten wie der "Objektifizierung" durchaus lebendig sind.
Dass die Ehe eine nicht verdinglichende Sexualität ermöglicht, liegt Kant zufolge daran, dass die Verehelichten einander im Sinne eines "auf dingliche Art persönlichen Rechts" besitzen - ein dunkler und nicht zu Unrecht von einem Rezensenten als "neues Phänomen am juristischen Himmel" verspotteter Rechtstitel, der weder ganz als Vertrag zwischen zwei Personen noch ganz als Eigentum einer Person an einer Sache zu verstehen sei. Der Sinn von Kants oft verlachter Ehedefinition als Verbindung zweier Personen "zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" liegt insoweit darin, dass verehelichte Sexualpartner die Menschheit in der eigenen Person vermittels ihres Besitzes aneinander durch die andere Person wiedergewinnen. Diese reziproke Wiederaneignung sei für Kant nur bei weitgehender Gleichheit der Eheleute möglich, was neben dem Besitz aneinander auch materielle Güter oder den gesellschaftlichen Status einschließe, wie sich an seiner Ablehnung morganatischer Ehen zeige, in denen der Stand des Ehemannes nicht auf eine rangniedrigere Ehefrau übertragen wird.
Sabourin zufolge denkt Kant damit deutlich egalitärer als viele damalige Juristen, welche die Ehe als Vertrag ansahen, aber versuchten, das Prinzip der Gleichheit der Vertragsparteien mit der Herrschaft des Ehemanns über die Ehefrau zu vereinbaren. Wie sie zugleich betont, bleibt dieser Egalitarismus bei Kant jedoch auf die Ehe beschränkt und erstreckt sich nicht auch auf eine Gleichheit an Rechten als Menschen und Staatsbürger - eine sichtliche Inkonsequenz, mit der Kant hinter schon damals diskutierten Ansichten zurückbleibt. Nicht nur stellten Condorcet, de Gouges und Wollstonecraft das überkommene Verhältnis von Ehemann und Ehefrau in den Zusammenhang einer umfassenden politischen Emanzipation, wenn sie es im Sinne damals zirkulierender Topoi mit der Tyrannei absoluter Monarchien oder der Sklaverei verglichen.
Durch Hippel muss Kant mit ähnlichen Ansichten auch im eigenen Umfeld konfrontiert gewesen sein. Mit dem Juristen, den er als Bürgermeister Königsbergs an seiner Tischgesellschaft als Ehrengast empfing, verband Kant eine langjährige Freundschaft. Hing Hippel in früheren Jahren noch überkommenen Geschlechtervorstellungen an, wie sich an der ersten Auflage seines Bestsellers "Über die Ehe" von 1774 zeigte, verschoben sich seine Auffassungen zu Beginn der Neunzigerjahre infolge der Französischen Revolution hin zu einem konsequenten Egalitarismus. In "Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" entfaltete er 1794 das Argument, dass sich die Aufklärung selbst verrät und die Menschheit insgesamt beschädigt wird, wenn den gleichermaßen vernunftbegabten Frauen Rechte vorenthalten bleiben. Die Schrift spielt auf das 1781 von dem Juristen Christian Wilhelm Dohm veröffentlichte Buch "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" an, mit dem sie das Anliegen teilt, die der jeweiligen Gruppe entgegengebrachten Vorurteile als Ergebnis von deren Unterdrückung zu deuten.
Da Hippel seine Schriften anonym veröffentlichte und sich in ihnen vieler kantischer Begriffe und Gedanken bedient - teils noch bevor sie dieser selbst publiziert hatte -, musste sich Kant des Verdachts erwehren, Autor des feministischen Pamphlets zu sein. Im Juli 1796, drei Monate nach dem Tod Hippels, kündigte ein Privatgelehrter im "Hamburgischen unparteyischen Correspondenten" eine Enthüllungsgeschichte an, der zufolge Kant Verfasser unter anderem "des Buches über die Ehe und eines andern über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" sei. Nachdem die Sensation ein halbes Jahr lang in den Intelligenzblättern diskutiert worden war, publizierte Kant im Januar 1797 schließlich selbst eine Erklärung, wonach er die fraglichen Bücher weder allein noch gemeinsam mit von Hippel verfasst habe. Hippel habe seine Gedanken als einstiger Hörer seiner Vorlesungen aufgenommen. Diese Episode, die Sabourin 2021 in einem Aufsatz gewürdigt hat, erwähnt sie auf den 70 Seiten ihrer Studie zur Ehe leider nur beiläufig, und sie fasst dabei auch nicht wie dort ins Auge, inwieweit Hippel Kants eigene Ideen gegen die Entrechtung von Frauen wendet.
Damit hat Sabourin sichtlich eine Chance vertan, das systematische Argument historisch zu untermauern, das sie gegen Ende ihrer Studie entwickelt. Dort versucht sie zu zeigen, dass Kants Verständnis der Gleichheit der Eheleute konsequent zu Ende gedacht eine umfassendere Gleichheit von Mann und Frau als Menschen und Staatsbürger erfordert. Das erscheint auch plausibel, scheint Kant Frauen doch eine Rechtspersönlichkeit abzusprechen, die erforderlich wäre, um in das Verhältnis von Gleichheit und Wechselseitigkeit einzutreten, das ihm zufolge die Ehe ausmacht. Wie Sabourin ausführt, rechtfertigt Kant mit der Unterscheidung "aktiver" und "passiver Staatsbürger" des Abbé Sieyès, dass Frauen neben politischer Teilhabe auch eine "bürgerliche Persönlichkeit" vorenthalten bleibt, bestimmt durch den Anspruch, "in Rechtsangelegenheiten durch keinen anderen vorgestellt werden zu dürfen".
Gleichwohl kann man sich fragen, ob dies bedeutet, dass Kant Frauen jede Geschäftsfähigkeit abspricht, zumal auch die Gleichheit der Eheleute bei ihm nicht immer so weit geht, wie Sabourins Darstellung suggeriert. So hält Kant sie etwa damit für vereinbar, dass in der Ehe der Mann "der befehlende" und die Frau "der gehorchende Teil" ist, was er mit einem schon damals nicht mehr unumstrittenen Rekurs auf eine natürliche Überlegenheit begründet, der stark an die Position jener Juristen erinnert, von denen er sich Sabourin zufolge abgrenzt. Letztlich scheint sich Kant in Bezug auf die Ehe auf eine Gleichheit des Besitzes zu beschränken, und es ist nicht klar, ob Passivbürgern durch ihre politische Exklusion auch der Besitzerwerb verunmöglicht wird. Auch wenn dies nicht die einzige Stelle ist, an der man sich ihre Argumente noch zwingender und technisch ausgereifter gewünscht hätte, erschließt Charlotte Sabourin faszinierende, noch immer zu wenig beachtete Kontexte, die verbreitete Zerrbilder davon infrage stellen, was Aufklärung ist. MIGUEL DE LA RIVA
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