Besprechung vom 30.11.2024
Tipps für Kanzler
Wie Merkel die "Kunst der Weltklugheit" beherzigte: Das und mehr verrät ein weiser Ratgeber für Politiker.
Von Thomas Jansen
Von Thomas Jansen
Dieses Buch könnten in Berlin derzeit einige Politiker ganz gut gebrauchen, vor allem in der FDP und der Linkspartei: "Leitfaden für das politische Überleben" lautet sein Untertitel. Der Ansatz ist originell: Hier gibt kein Elder Statesman seine Anekdoten zum Besten, und hier erklärt auch kein Extrembergsteiger, was man von einer Himalaja-Expedition für den Weg ins Kanzleramt lernen kann. Stattdessen kommen Klassiker der politischen Philosophie und Soziologie zu Wort, aber anders als gewohnt: hier zählt nur ihr Nutzwert. Was lässt sich von Max Weber, Niccolò Machiavelli oder Marc Aurel für eine politische Karriere lernen? Die politikwissenschaftlichen Lehrbücher böten allenfalls "zaghafte Hinweise" dazu, wie ein politischer Aufstieg und eine erfolgreiche Amtsführung gelingen könne, schreiben die Politikwissenschaftler Paul Kevenhörster und Benjamin Laag in ihrem Vorwort. Aber das Fach dürfe dem nicht ausweichen.
Dazu ziehen sie auch weniger bekannte Gelehrte heran wie den spanischen Jesuiten Baltasar Gracián, der Mitte des 17. Jahrhunderts Ratgeber des spanischen Königs war und ein Werk mit dem Titel "Handorakel und Kunst der Weltklugheit" verfasste. Dessen Ratschläge beherzigte auch - vermutlich ohne sie zu kennen - Angela Merkel, wie die Autoren darlegen. Als Merkel 1999 gegen Helmut Kohl rebellierte, habe sie das getan, was Gracián so formuliert hatte: "Wenn eine große Lebensregel die ist, dass man sich zu verweigern verstehe, so folgt, dass es eine noch wichtigere ist, dass man sich selbst sowohl den Geschäften als auch den Personen zu verweigern wisse".
Das klingt zuerst etwas gewollt. Das Konzept hat jedoch seinen Reiz, zumal die Autoren eine Vereinnahmung der Klassiker vermeiden. In Deutschland etwa wird jeder halbwegs machtbewusste Politiker "Schüler Machiavellis" genannt, so auch Gerhard Schröder. Seine Entscheidung, 2005 eine Neuwahl herbeizuführen, zeige zwar die Bereitschaft, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, und folge insofern den Empfehlungen Machiavellis. Aber die Würdigung werde "dem Ergebnis dieser Intervention nicht ganz gerecht", Schröder habe die Wahl schließlich verloren, so die Autoren.
Mehr darüber, wie man mit dem in zweiter Auflage erschienenen Buch "Strategie und Taktik" zum Erfolg gelangt, sei nicht verraten. Nur so viel: Die Lektüre lohnt sich auch für alle, die nicht am Zaun des Kanzleramts rütteln.
Paul Kevenhörster und Benjamin Laag: "Strategie und Taktik". Ein Leitfaden für das politische Überleben.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 2024. 185 S., br.
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