Besprechung vom 05.05.2025
Auf in den Wahlkampf
Alle Romane von Ross Thomas liegen neu übersetzt vor
Alexander Wewerka, Jahrgang 1959, gründet 1983 in Westberlin den Alexander Verlag, der thematische Schwerpunkt des Unternehmens liegt auf Theaterbüchern. Um die Jahrtausendwende beginnen erste Abstecher ins Krimigenre, darunter eine Gesamtausgabe der Romane Jörg Fausers. Zehn Jahre nach dem Tod des amerikanischen Genregiganten Ross Thomas (1926 bis 1995) startet der mutige Kleinverleger mit "Die im Dunkeln" eine Neuausgabe aller Romane. Mit Gisbert Haefs ist ein Neuübersetzer gefunden, der dieser Aufgabe bis zum Ende treu bleibt und deutschen Lesern erstmals Thomas' 25 Romane ungekürzt zu Füßen legt. Frühere Übersetzungen waren teils radikal gekürzt erschienen. Wewerka setzt darauf, dass Ross Thomas als Klassiker gelesen wird, den auch nachwachsende Generationen entdecken würden - er sollte recht behalten. Nun ist die Ausgabe mit dem letzten Band "Stimmenfang" abgeschlossen, man kann sie nicht genug loben.
Ross Thomas, in Oklahoma City geboren, nahm als junger Mann auf den Philippinen am Zweiten Weltkrieg teil, baute nach Kriegsende das AFN-Büro in Bonn auf, arbeitete in Washington als Wahlkampfmanager für Lyndon B. Johnson. Als PR-Stratege kannte er den Politikbetrieb, die Gewerkschaften, Hinterzimmerintrigen, die Hotels und Bars der Strippenzieher, ihre Appartementhäuser und Autos inwendig. Er wusste, mit welchen Codes in diesen Kreisen gesprochen wird, ein Wissen, das er in seinen Thrillern nutzte. Auch "Stimmenfang" fußt auf Erfahrungen, die der Autor in Nigeria machte, als er die Präsidentschaftskandidatur des Stammesführers Chief Obafemi Awolowo, des Anführers der nigerianischen Unabhängigkeitsbewegung, unterstützte.
Der Originaltitel "The Seersucker Whipsaw" (1967) verweist einerseits auf einen Anzugstoff, andererseits auf den Job des Wahlkampfmanagers. Ihn mit "Der in Seersucker gekleidete Bedrängnisbringer" zu übersetzen, verbietet sich. Ausgangslage des Romans: Der Ich-Erzähler Peter Upshaw, US-Journalist und Redenschreiber, sucht im Auftrag einer Londoner Agentur den Politstrategen Clinton Shartelle - er ist die Figur in Seersucker -, um mit ihm in der fiktiven afrikanischen Kolonie Albertia, die kurz davorsteht, in die Unabhängigkeit entlassen zu werden, Wahlkampf für Chief Akomolo zu machen. Dieser ist bei Weitem nicht der aussichtsreichste Kandidat. Denn die CIA und eine weltbekannte Beraterfirma mischen ebenfalls mit.
Upshaw findet Shartelle in Denver bei einem Baseballspiel. "Ich suchte mir einen Sitzplatz neben einem fetten Mexikaner, der aus Zeitungspapier Tamales aß und den Pitchern Ratschläge gab." Shartelle, ein "Mann mit einem Gesicht in der Form eines verbeulten Herzens", schluckt den Köder - ein Honorarangebot in Höhe von 30.000 Pfund, nach heutiger Kaufkraft mehr als eine halbe Million Euro. Als er wenige Tage später in Albertia seinen Kunden kennenlernt, betrachtet er diesen mit "einer Mischung aus Entzücken und Bewunderung", weil ihn Chief Akomolo mit einer steilen These zur Ermordung John F. Kennedys fesselt: "Wenn ich an der Stelle Ihres Mr. Hoover gewesen wäre, hätte ich ein paar Burschen ins Gefängnis gesteckt - Johnson, Ihren Mr. McNamara, Rusk, vielleicht das ganze Kabinett."
Politik steht bei Ross Thomas eben immer im Zentrum und nicht Serienmörder oder moralisch und psychisch auf den Hund gekommene Ermittler. So vertritt Shartelle auch eine "Theorie für harmonische Rassenbeziehungen", die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans eine Minderheit der Amerikaner geteilt hat. Sie besagt, dass man den Schwarzen "jedes verdammte Recht, das es gibt", einräumen müsse, auch wenn das bedeute, dass sie dann genauso sein werden wie "ihr Weißen mit allen euren gesunden moralischen Werten, eurer christlichen Tugend und eurer kostbaren Zusammengehörigkeit".
Aus schlechter Ausgangslage startet Shartelle seine Kampagne, sie zielt darauf ab, die beiden anderen Kandidaten in eine Blockade zu locken. Dazu macht er sich die Kenntnis der afrikanischen Volksseele zunutze. Während sich Upshaw in einer Romanze verstrickt, rückt der Wahltag näher. Was dann losbricht, kann hier nicht verraten werden, aber eine Leseempfehlung auszusprechen, ist erlaubt. HANNES HINTERMEIER
Ross Thomas: "Stimmenfang". Ein afrikanischer Wahlkampf. Politthriller.
Aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs.
Alexander Verlag,
Berlin 2025.
416 S., br.
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