Irgend etwas zog mich magisch an, als ich die Buchbeschreibung las. Sicher nicht nur die Tatsache, dass Sarah Bernstein mit ihrem schmalen Werk "Übung in Gehorsam", das im Wagenbach Verlag erschien, auf der Short List des Booker Prizes landete. Thematisch fühlte ich mich angesprochen von der Grundidee einer sich aufopfernden Frau, der jede Anererkennung verwehrt bleibt und den ihre Gegenwart begleitenden mysteriösen Vorfällen. Der Wagenbach Verlag hat mir schon so manch literarischen Schatz zugänglich gemacht und so began ich neugierig die Lektüre.Gleich am Anfang viel Symbolik, die Stimmung wirkt bedrohlich. Kurz nach der Ankunft der Ich-Erzählerin vollziehen sich einige sehr ungewöhnliche Dinge im Dorf: Säue sterben, eine Hündin hat eine Schein-Schwangerschaft. Es fällt der Ich-Erzählerin auf, die ihre Schuldlosigkeit reflektiert, obwohl sie sich schon bewusst scheint, dass Andere sie als Sündenbock sehen. Als Jüngste von jeher in der untergeordneten Position, Anderen fraglos zu dienen, steht sie schnell parat, als ihr Bruder von Frau und Kindern verlassen wird und nach ihr verlangt. Befremdet las ich von ihrem absoluten Gehorsam dem Bruder gegenüber, dem sie nicht nur den Haushalt macht, sondern ihn auch wäscht und kleidet. Die Unterwerfung ist total, bleibt unhinterfragt. Doch dann ist sie plötzlich auf sich gestellt, denn ihr Bruder geht auf eine Dienstreise. Ohne Kenntnis der fremden Sprache, überall Missstrauen und Argwohn, wo immer sie auftaucht. Ihr gelingt es nicht anzukommen, auch nicht, als sie beginnt, sich ehrenamtlich zu engagieren.Der Text steckt voller Symbolik, es wird angespielt auf jüdische Vorfahren. Ich fühle mich erinnert an soziologische Arbeiten über Fremde, oft jüdischen Ursprungs, die als fremd erkannt und entsprechend behandelt werden. Von einer Sündenbockfunktion ist die Rede, von Angst vor Überfremdung, vor Ansteckung und Stigmatisierungen als Kontrollmechanismen, die das Eigene schützen und das Fremde auf DIstanz halten sollen. Neu Hinzukommende werden nicht als zugehörig betrachtet, bleiben Fremdkörper. Das ist genau das, was der Ich-Erzählerin widerfährt. Doch findet man nur sanfte Anspielungen, die der Entschlüsselung haren. Ohne Interpretationsanstöße blieb mir als Leserin viel verborgen, erst nach und nach erschloss sich mir die Tragweite der Erzählung.Auch die Ich-Erzählerin braucht ihre Zeit, um zu erkennen, zu verstehen. Sie flaniert viel durch Natur, denkt nach. Dann, als ihr Bruder krank heimkehrt, erleben wir eine Rollenumkehr. Während ihr Bruder zunehmend abbaut, erstarkt seine jüngste Schwester. Dies gibt ihr Macht und Kontrolle. Eine neue und ungewohnte Situation für sie. Plötzlich ist ihr Bruder der Schwache, wo er vorher aufgrund seines Erfolges angesehen war.Die Erzählung ist kurz aber bedeutundsschwer: Eine sehr lesenswerte Parabel auf große Fragen von Auswirkungen von Flicht und Vertreibung, Verantweortung und Schuld, Täter und Opfer und die Verwischung von Grenzlinien in all dem. Das Buch wirkt nach, verlangt nach weiteren Lektüren, die mehr Bedeutungsebenen zu offenbaren versprechen. Eine dieser Perlen, die zeitlos sind und die nie an Bedeutung verlieren. Allerdings ist die Botschaft des Büchleins sehr schwer zugänglich, versteckt. Es wäre zu wünschen, dass sie der breiten Leserschaft besser zugänglich wäre. Das ändert aber nichts an der Meisterschaft Bernsteins. Lesen und darüber reden - unbedingt!!