Ein feiner Krimi, schön geschrieben, mit etwas blassen Charakteren
Wie jeder weiß, besteht Schweden nördlich von Uppsala ausschließlich aus Wäldern, Elchen und Serienmördern. In eine dieser Gegenden im wilden Norden des Landes, nach Angermanland, entführt uns Tove Alsterdal mit ihrem Roman. Hier oben sind die Sommer kurz und die Böden karg, es wächst nicht mehr viel außer den Bäumen, die man fällen kann und über den Fluss zur Küste bringen, wo man sie zersägt und dann in den Zellstoffwerken zu Damenbinden und Quittungsblöcken verarbeitet.Olof stammt von hier. Er hat in seiner Jugend etwas sehr Schlimmes gemacht: Mit vierzehn hat er Lina aus dem Dorf vergewaltigt und ermordet - auch wenn ihre Leiche nie gefunden wurde, hat Olof nach langen Verhören die Tat gestanden; er kam in eine Einrichtung, wie man sie in Schweden für vierzehnjährige Gewaltverbrecher vorhält, seine Familie hat sich von ihm abgewendet, er ist so durchs Leben gestolpert und jetzt, dreiundzwanzig Jahre später, lebt er davon, schwarz gekaufte Autos aus der Provinz nach Stockholm zu überführen. Einer dieser Aufträge führt ihn am Dorf seiner Jugend vorbei, er beschließt, nach so vielen Jahren doch einen Abstecher bei seinem Elternhaus zu machen und findet dort seinen Vater vor, tot, in der Dusche, mit einer Stichwunde im Bauch. Und mit einem Mal ist er wieder mittendrin in der Welt seiner Jugend und natürlich holt ihn die Vergangenheit ein.Der Tod wird von der örtlichen Polizei untersucht; geleitet werden die Ermittlungen von Eira Sjödin, die zum Zeitpunkt des Lina-Mordes erst neun war und die Geschehnisse nur am Rande mitbekommen hat.Natürlich ist etwas faul an Olofs Verurteilung, daran besteht von Anfang an kein Zweifel. Die Ermittlungen bringen nach und nach zu Tage, was wirklich passiert ist damals und wie es mit heute und dem Mord an Olofs Vater zusammenhängt. Als alter Krimifuchs überrascht einen die Auflösung nicht wirklich, aber das ist nicht schlimm - die Geschichte wird stimmig und interessant erzählt, in einem ruhigen Rhythmus mit einer angenehmen Sprache, so dass man Eira gerne über die Schulter schaut, wenn sie die Leute befragt und dem Rätsel allmählich auf den Grund kommt.Das größte Plus des Buches ist für mich die Wortkraft der Sprache von Tove Alsterdal, die ein echtes Händchen hat, Stimmungen und Begegnungen zu schildern. Die Landschaft, die Leute, die Libellen überm Fluss, der Heuduft eines Sommerabends, das wird alles sehr lebendig und plastisch, da bekommt dieser schwedische Krimi (auch in der deutschen Übersetzung von Hanna Granz) tatsächlich eine poetische Note - und gar keine schlechte!Dafür dass sie so gut Stimmungen einfangen kann und auch die Emotionen, die Leute im Dialog bewegen, bleiben ihre Charaktere am Ende allerdings im Ganzen leider arg blass. Olofs zerrissene und geplagte Seele fängt sie noch gut und nachvollziehbar ein, aber das Polizeiteam - GG, August, Silje - sie sind nicht viel mehr als austauschbare Namen, und auch Eira selbst, diese junge Frau von zweiunddreißig Jahren, was macht die noch, außer ihrem Job und dem Haushalt für sich und ihre halbdemente Mutter? Was sind ihre Träume? Will sie mal Kinder? Oder Provinzpolizeichefin werden? Oder zum FBI? Oder einmal nach Bhutan? Hat sie Freunde außerhalb des Kollegenkreises? Ich hätte sehr gern mehr über die Figur erfahren, gerade wenn sie in einer so kleinteiligen ländlichen Welt agiert, wo jeder jeden kennt - für meine Begriffe leidet das Leserlebnis hier unter der Zurückhaltung und Diskretion der Autorin.Und eine saftige Watschen möchte ich noch den Marketingfuzzis im Rowohlt-Verlag für den deutschen Titel verabreichen. Ich kann sie förmlich sehen, wie sie überlegt haben: "Ah, noch so eine Krimiserie, da pfeifen wir auf den Inhalt und nehmen als Titelmuster einfach mal Farben - für jeden Band eine andere, und ein Attribut dazu." - Zugegeben, Sturmrot klingt fetzig, aber hat mit dem Inhalt dieses Buches halt so was von überhaupt nichts zu tun, es ist einfach ein willkürlicher Titel, genausogut hätte man "Hasenscharte" draufschreiben können, "Keilriemen" oder "Kaffeebecher". Die schwedische Originalfassung heißt übrigens "Rotvälta", das bedeutet "Wurzelfäule" und trifft den Inhalt ziemlich gut.