Für viele ist Swing derzeit wieder angesagt, und er hatte mit Robbie Williams' Sinatra-Hommage einen höchst konsensfähigen Wegbereiter. Die Gallionsfigur des neuen alten Trends kommt jedoch nicht aus England, sondern aus Kanada, es ist der nahe Vancouver geborene Sänger Michael Bublé. Der knapp 30-Jährige ist ein pausbäckiger Schwiegersohntyp im dunklen Maßanzug, gut aussehend und ansprechend frisiert. Sagte da jemand was von Retorte? Einspruch, denn Bublé hat sich seine Sporen in frühen Jahren auf der Show-Bühne verdient, Filme gemacht (unter anderem spielte er in "Duets" mit Gwyneth Paltrow, 2000) und kann zwei Alben plus eine DVD vorweisen - ein ehrgeiziger, künstlerisch integrer Lebenslauf.
Millionenverkäufe, bejubelte Konzerte, Goldene Schallplatten: Bublé hat sich mit dem Charme des juvenilen Schwerstarbeiters vor allem in Asien und in den USA ein riesiges Publikum errackert. Mit seiner aktuellen CD "It's Time" soll nun auch in Europa die Marke Bublé als feste Größe im Pop-Geschäft verankert werden. Klangtechnischer Steigbügelhalter für den smarten Vokalisten ist der Produzent David Foster, in dessen Soundfabrik zuletzt Monumental-Popper Josh Groban und Jazz-Teenie Renée Olstead vom Band liefen. Das hat für Bublé Vor- und Nachteile. Foster-Produktionen klingen manchmal so, wie moderne Rotweine schmecken: breit, füllig, gefällig, aber mit wenig Tiefe und Charakter. Michael Bublé trägt bei allem soliden Können dazu noch eine heikle PR-Hypothek mit sich herum: Er wird von Medien und Promotern als "neuer Frank Sinatra" gehandelt.
Dabei ist der Vergleich mit dem reifen Sinatra, dem Jahrhundert-Crooner, mehr als fragwürdig. Wenn überhaupt, dann ähnelt Bublé dem 30-jährigen Frankieboy, der bereits 1945 auf einer Erfolgswelle surfte und Klassiker wie "Stormy Weather" oder "You Go To My Head" fest im Griff hatte. Aber Sinatras souveräne Art, die Töne quasi von unten anzusingen, die Harmonie ein wenig zu umkreisen und mit einer Mischung aus Trotz und Melancholie zu veredeln, all das muss der nette Michael noch lernen. Wenn er "Try A Little Tenderness" haucht, so erinnert er eher an Vokal-Softie Mel Tormé denn an Ol' Blue Eyes.
Weitaus besser dagegen ist Bublés Version von "Save The Last Dance For Me", ein lupenreiner Cha-Cha-Cha in cooler Foster-Perfektion mit witzigen Gitarren-Details. Der Drifters-Hit aus dem Jahre 1960 federt und pulsiert, ganz schick aufgemotzter Schlager. Feeling, diese Mischung aus Erfahrung, Talent und Individualität, sucht man jedoch vergebens. Michael Bublés Auffassung von Swing ist überhaupt recht akademisch, sein Stil besticht durch Routine, nicht durch Persönlichkeit. Dazu passt auch das Duett mit der kreuzbraven Nelly Furtado ("Quando, Quando, Quando"); es döst sich angenehm, wenn ähnliche Temperamente aufeinander treffen. Komponieren kann Bublé übrigens auch: Für sein aktuelles Album "It's Time" hat er den kuschligen Song "Home" geschrieben. So hört sich Musik gewordene Wellness an. Feng Shui für den Gehörgang.
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