¿Ughhh ¿ das Buch ist wie ein endloser innerer Monolog in einem schlecht beleuchteten Umkleideraum."
¿Ughhh ¿ das Buch ist wie ein endloser innerer Monolog in einem schlecht beleuchteten Umkleideraum ¿ nur ohne die Hoffnung, dass irgendjemand jemals rauskommt oder wenigstens ein Handtuch reicht.¿Ich begann zu lesen. Ich las das Bernstein-Kapitel - und weiter. Ich suchte Handlung. Ich fand: Sediment. Sprachlich verdichtete Erstarrung. Keine Bewegung, keine Flucht, keine Konsequenz. Stattdessen: ein Mann, der abwäscht. Ein anderer, der sich zum Inselpriester stilisiert. Und eine Insel, die nicht Ort der Sehnsucht ist, sondern Endpunkt des Landgefängnisses DDR ¿ ein Rand, an dem sich Hoffnung in Stillstand verwandelt.Ich erwartete Fluchtbewegungen. Ich bekam Introspektion. Ich erwartete Handlung. Ich bekam Sprachnebel. Ich erwartete Konsequenz. Ich bekam: nichts. Und das über Hunderte von Seiten. Ich fragte mich: Verlange ich zu viel? Leise würde ich noch hinzufügen:¿Ich hätte lieber 300 Seiten lang einem Fuchs beim Denken zugehört.¿Die Fiktion der Freiheit als VerhöhnungSeiler konstruiert eine ¿Gemeinschaft der Herausgefallenen¿. Eine Art Inselutopie. Eine Männergemeinschaft, die sich dem System entzieht, ohne verfolgt zu werden. Ohne Konsequenz. Ohne Realität. Diese Gemeinschaft hat es nie gegeben. Sie konnte es nie geben. In der DDR bedeutete ¿herausfallen¿: Überwachung. Repression. Gefängnis. Fluchtversuch bedeutete: Tod.Was Seiler hier entwirft, suggeriert eine Form von literarischer Freiheit, was angesichts der realen DDR-Repressionen historisch falsch und schmerzhaft wirkt. . Es ist, als würde man den Inhaftierten von Bautzen zurufen: Ihr hättet euch nur poetischer verhalten müssen. Es ist, als würde man den Ertrunkenen in der Ostsee vorwerfen, sie seien nicht metaphysisch genug geschwommen. Ist Kruso eine Erzählung ¿ oder eine Verhöhnung des realen Leids?Sexismus, Sprachnebel, PreisvergabeDie Frauen in Kruso? Sie sind Staffage. Beilagen. Narrative Ressourcen für männliche Selbstverwirklichung. Der ¿Klausner¿ ist kein Ort der Gemeinschaft, sondern ein männlicher Rückzugsraum, eine literarische Sauna, in der sich Männer gegenseitig ihre Bedeutung zuschwitzen. Dass dieser Roman 2014 den Deutschen Buchpreis erhielt, zeigt, wie tief der deutsche Literaturbetrieb in (patriarchalen) Mustern verhaftet bleibt ¿ und wie blind er gegenüber struktureller Gewalt ist.Ich stand am Grab von Daniel Defoe in Bunhill Fields. Weiß ich, was eine Robinsonade ist, was sie leisten kann? Was Seiler liefert, ist keine Robinsonade ¿ eher eine literarische Nebelspur durch das Gedächtnis.Ins Regal der EnttäuschungKruso steht jetzt in meinem fiktiven Regal neben Helianth. Neben dem Telefonbuch von Bielefeld. Nicht aus Spott. Diese Bücher sind Sedimente. Sie lagern sich ab. Sie bewegen nichts. Sie sprechen nicht. Sie sind die literarische Entsprechung jener Systeme, die einst Weltmaßstab waren und heute nur noch museal existieren wie die britische Automobilindustrie. Ein Empire stirbt ¿ nicht mit einem Knall, sondern mit einem Klappentext. Die Sprache, einst Trägerin von Weltdeutung, wird zur Pose. Der Kanon, einst Speicher kollektiver Erfahrung, wird zu bloßer Selbstbespiegelung. Kruso ist kein schlechtes Buch. Es ist ein Symptom. Es zeigt, wie weit sich die deutsche Literatur von der Welt entfernt hat. Wie sehr sie sich in ihren eigenen Sedimenten suhlt. Wie wenig sie noch wagt, zu berühren, zu riskieren, zu handeln.Ich denke: Das Buch ist fürs Feuilleton - aber womöglich nicht für Leser mit meiner Erwartungshaltung.