Die zerrissene Geschichte zerrissener Menschen, berührend und aus verschiedenen Perspektiven erzählt, führt die Komplexität und Unverständlichkeit der Jugoslawienkriege in ihren Auswirkungen auf die Davongekommenen aus.Biljana Banadinovic heißt jetzt Billy Bana, ist lesbisch, unstet und eine künstlerisch tätige, erfolgreiche Fotografin. Anlässlich des Todes ihres Vaters erinnert sie sich splitterhaft an ihre Kindheit mit ihrem Bruder, an ihre Fremdheit in Wien als Gastarbeiterkind und an die Lücken in ihrer sogenannten Muttersprache anlässlich der Besuche bei den Großeltern in Serbien.Die Jugoslawienkriege, die die bereits in den Siebziger Jahren ausgewanderte Familie in Wien verfolgt, brechen in Form wiederholter anonymer Telefonanrufe: "seid ihr Serben oder Kroaten? Serben oder Kroaten?" in das Familienleben ein, spaltet die Kinder von den Eltern, macht Heimatgefühle unmöglich."Irgendjemand wollte die Wahrheit in Kategorien stecken, Schwarz und Weiß,Gut und Böse, kein Mensch, nur die Wahrheit von irgendjemand hatte bei ihnen angerufen, während ein Flugzeug über diesem Zuhause hinwegdonnerte, das sich weder in Serbien noch in Kroatien befand, sondern in einer Einflugschneise andernorts in Europa..."Identität ist eins der großen Themen, neben Freiheitsdrang, Verlust, Entwurzelung. Billy fühlt sich nicht serbisch, nicht österreichisch, nicht deutsch, besitzt zwei Pässe aber keine eindeutige Identität. Sie fühlt sich bereits als Teenager eingeengt, verlässt mit siebzehn ihr Zuhause und lässt sich auch später nicht gern in Schubladen stecken. Wer behauptet, Heimat sei da, wo die Familie ist, liegt bei Billy, Bruder Jonas Neven und ihren Eltern völlig falsch. Die Mutter verließ mit dem Vater das Land, um ihrerseits den Eltern und einer arrangierten Ehe zu entkommen. Der Vater trauert der Utopie eines Jugoslawiens hinterher, das es nie gegeben hatte, von dem er sich gewünscht hätte, dass es Milosevic verwirklicht, bis er zum Monster wurde und mit ihm alle Serben. Ein Kollateralschaden des Krieges, dieses Misstrauen einem ganzen Volk gegenüber. Billys Bruder Jonas Neven verschwindet, als er als später, als junger Mann, in Serbien, Bosnien Herzegowina und Kroatien nach seinen Wurzeln sucht.Er verschwindet ebenso unwiederbringlich wie das Jugoslawien seiner Eltern, zurück bleibt die Sehnsucht und sehr verschiedene Erinnerungen. Billy erreicht auch nach der Beerdigung ihres Vaters nur eine oberflächliche Versöhnung mit ihrer Mutter, denn ihre Wut über die Ablehnung ihrer Lebensweise macht sie unversöhnlich. Ein totgefahrener Hase wird zur Metapher der Verdrängung, und die Stille, die durch dieses Verdrängen entsteht, treibt Billy immer wieder von den Menschen weg, in die Einsamkeit, die ihre Anteilnahme an der Welt nur durch den Blick durch die Linse ermöglicht. Isoliert vom wirklichen, realen Leben, zählt sie auf dem Weg ins Flugzeug die Fotos, die sie nicht geschossen hat, nimmt sogar ohne Kamera die Welt nur aus der Distanz war, gerahmt, kommentiert, vorübergehende Eindrücke, die erst später entwickelt werden."Wie erzählt man sein Leben, ohne ICH zu sagen?"Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, doch es ist keine leichte Lektüre. Es hat mich durch die klare Sprache gewonnen und die kunstvolle Auffächerung dieser schwierigen Familiengeschichte. Die Zerrissenheit der Figuren wird beängstigend gut transportiert, ein melancholischer Fatalismus macht sich zwischen den Zeilen breit und die Erkenntnis, dass es wirkliche Sicherheit niemals im Leben geben wird.