Das Cover des Romans mit seinen zarten Pastellfarben finde ich wunderschön. Nach dem Lesen habe ich festgestellt, dass "Das Sommerfest" bereits vor einem Jahr unter dem Titel "Treibgut" bei einem anderen Verlag erschienen ist, was mich etwas verwirrte.
Nichtsdestotrotz ist das Sommerfest ein wunderbar atmosphärisches und tiefsinniges Buch, das die Geschichte einer Familie vor dem Hintergrund Cape Cods erzählt. Das Buch erinnerte mich stark an den Papierpalast, eines meiner Lieblingsbücher.
Adrienne Brodeur versteht es meisterhaft, subtile Portraits ihrer Protagonisten zu zeichnen. Da ist Adam, Patriarch von 70 Jahren, der unter einer bipolaren Störung leidet. Mal leidet er fast unter Größenwahn, glaubt sich neuen Entdeckungen in der Walforschung nahe, mal ist er depressiv und kaum zugänglich. Für seine Kinder Abby und Ken die Mutter starb nach Abbys Geburt war und ist es sehr schwer, mit ihm auszukommen.
Ken ist ein aufstrebender Politiker mit einer Familie, die nach außen hin wie aus dem Bilderbuch erscheint. Nach innen hin ist nichts, wie Ken es sich wünscht, die Kinder renitent, seine Ehefrau hat ein Alkoholproblem, außerdem liegen ihre Loyalitäten nicht bei ihm, sondern bei seiner Schwester Abby.
Abby ist Künstlerin, eine sensible Person, die vom Vater nie ernstgenommen wurde und sich in der Kindheit an den großen Bruder klammerte, so wie er sich an sie, mit unschönen Folgen, die die Autorin nur dezent andeutet.
Dann tritt ein weiteres Familienmitglied auf den Plan, mit dem niemand gerechnet hätte und bringt die eingerosteten Familienstrukturen ordentlich durcheinander.
Auf sehr tiefgehende Weise beschreibt die Autorin Kindheitstraumata und wie sie im Hier und Jetzt noch nachwirken. Alle Frauen der Familie litten und leiden unter dem Patriarchat, obwohl sie die eigentlich Starken und Überlegenen sind. Ihr Kampf aus der Bevormundung und Fremdbestimmung heraus ist schwer und schmerzhaft, aber überzeugend zu lesen.
Nichts zuletzt war ich beim Lesen von den wunderschönen Naturbeschreibungen der Küste und des Meers angetan. Adrienne Brodeur schuf eine wunderbare, sinnliche Atmosphäre, die noch lange in mir nachhallt.