Willkommen im gefährlichsten Garten der Welt!
Auf den ersten Blick wirkt der Schlossgarten von Alnwick ganz harmlos: gepflegte Hecken, blühende Beete, saftiges Grün. Doch hinter seinen Toren verbirgt sich der tödlichste Garten der Welt: Poison Garden. Gegründet von Jane Percy, Herzogin von Northumberland.
Hier beginnt Noemis Reise in die Welt der Gifte. Fasziniert folgt sie John Knox, der den Besuchern von Alraune bis Rizinusbaum die Pflanzen und ihre verheerenden Wirkungen erklärt. Und Noemi versteht: Wo Gift wächst, sind auch Mörder.
Eisenhut im Currygericht, Atropin im Gin Tonic, Rizin in einer Tasse Tee. Nicht selten trifft Gift auf kulinarischen Einfallsreichtum. Spannend erzählt Noemi von den schönsten, skurrilsten und legendärsten Giftmorden der Geschichte, ihren Protagonisten und bis heute unterschätzten Mörderinnen.
Über das tödliche Potenzial in unseren Gärten und menschliche Abgründe - das sind mörderisch gute Geschichten!
Besprechung vom 14.05.2025
Eisenhut war gar keine schlechte Wahl
Gruselbuch: Noemi Harnickell erzählt Geschichten von bösen Unternehmungen mit giftigen Pflanzen
Wirkstoffe aus Pflanzen stehen im Ruf, sanft zu sein und keine schädlichen Nebenwirkungen zu entfalten. Überhaupt hat das Wort "pflanzlich" eine freundliche, harmlose Aura. Dass diese Einschätzung nicht stimmt, viele Pflanzen mit Vorsicht zu genießen sind, manche auch tödlich sein können, davon handelt Noemi Harnickell in ihrem Buch. Es erkundet die giftige Seite der Pflanzenwelt - mit Fokus insbesondere auf die vielfältigen Methoden, Menschen mit Extrakten etwa aus Rizinusbäumen, Engelstrompeten oder der Tollkirsche um die Ecke zu bringen.
Für den roten Faden des Buchs sorgt der "Poison Garden" von Alnwick in der nordenglischen Grafschaft Northumberland, dessen Leiter der Autorin eine ausgedehnte Führung zuteilwerden ließ. Zwar hat die Gründung des Giftgartens einen ernsten Hintergrund: Weil in Northumberland viele junge Menschen an Drogen sterben, soll die Attraktion auf unaufdringliche Weise über Risiken von harmlos scheinenden Substanzen aufklären. Im Buch setzt Harnickell aber fast vollständig statt auf rein sachliche Darstellungen auf gruselig-unterhaltsame Anekdoten, die teils aus Krimis stammen. Sie breitet genüsslich Mordversuche und Mordfälle aus, bei denen Pflanzengifte zum Einsatz kamen.
Dazu zählt zum Beispiel die Geschichte jenes Mannes, der in den Neunzigerjahren in Edinburgh in einem Supermarkt viele Flaschen Tonic Water mit Atropin versetzte, dem Gift der Schwarzen Tollkirsche, eines auch als Belladonna bekannten Nachtschattengewächses. In den örtlichen Notaufnahmen trafen bald mehrere Menschen mit Vergiftungserscheinungen wie schweren Magenkrämpfen ein. Der Täter hatte die Dosis so gewählt, dass die Menschen erkrankten, aber nicht starben. Er wollte, schreibt Harnickell, die Polizei damit auf die Jagd nach einem fiktiven Massenmörder schicken, während er den Plan verfolgte, seiner Frau eine tödliche Dosis zu verabreichen und dann den schockierten Ehemann zu mimen. Der Plan ging schief, auch die Frau überlebte die Vergiftung, aber zu den vielen kuriosen Wendungen dieses Buchs gehört, dass der Täter nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen Teilzeitjob als Lehrbeauftragter für Medizinethik bekam.
Kein gutes Ende nahmen dagegen andere Vergiftungsfälle, etwa mit Rizin, Strychnin oder Zyanid. Letzteres ist in kleinen Mengen in Apfelkernen enthalten - doch die Behauptung eines Giftmörders, sein Opfer habe wohl einfach zu viele Äpfel gegessen, verfing vor Gericht nicht, weil man Hunderte der Früchte zu sich nehmen müsste, um eine schädliche Wirkung zu erzeugen.
Von Polizisten und Detektiven wimmelt es in diesem Buch nur so, Botaniker dagegen kommen eher selten vor. Eine Ausnahme bildet die Geschichte der "Curry-Mörderin", die 2009 das Gift des Eisenhuts aus Indien mitbrachte, um sich an dem Mann zu rächen, der sie kurz zuvor verlassen hatte, dem sie es aber noch in ein Gericht mischen konnte. Die Polizei tappte zuerst im Dunkeln, der letzte bekannte Mord mit dem Gift des Eisenhuts war in Großbritannien mehr als hundert Jahres zuvor begangen worden. Auf die Spur kamen der Mörderin dann Wissenschaftler des Botanischen Gartens von Kew in London, die mit den chemischen Signaturen etwas anzufangen wussten.
Eine Wendung weg vom Anekdotischen nimmt Harnickells Buch gegen Ende, wenn sie sich Nikotin und Opium zuwendet. Vom Leiter des englischen Gift-Gartens erfährt sie, dass zwar der Rizinusbaum das gefährlichste Gift produziere, aber die Tabakpflanze im Lauf der Geschichte wohl am meisten Menschen auf dem Gewissen habe. Sie erinnert dabei auch an die gesundheitlichen Schäden, die Landarbeiter beim Anbau davontragen, wenn sie die Pflanze ständig berühren. Am giftigsten sei Nikotin nämlich gar nicht im Rauch, sondern als Tee oder eben bei direkter Berührung der Pflanze. Das Pflücken von feuchten Tabakblättern entspreche etwa dem Rauchen von sechzig Zigaretten an einem Tag, zitiert die Autorin den Experten.
Als unterhaltsames Gruselbuch funktioniert "Fatale Flora" gut. Dem Unterhaltungszweck kommt auch nicht in die Quere, wenn manche Informationen erkennbar ungefiltert aus Internetsuchen stammen. Was man als Leser allerdings nicht erwarten sollte, sind solide botanische Ausführungen dazu, welche Rolle die Gifte in der Natur spielen, oder Erkundungen, wie indigene Völker ihren umfassenden Wissensschatz zu den Pflanzen aufgebaut haben und welche potenten Wirkstoffe aus Pflanzen in der Medizin Anwendung finden.
Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität allzu sehr. Die Autorin gibt dies selbst eher ungewollt zu, wenn sie mit Bezug auf die grausamen russischen Giftanschläge in London schreibt: "Was für Sergei und Yulia Skripal ein traumatisierendes Erlebnis war, ist für Geschichtenerzählerinnen wie mich oder den Guides des Poison Garden ein spannendes Schauermärchen." Hier wünscht man sich doch etwas mehr Ernsthaftigkeit. Ein Pluspunkt ist dagegen, dass das Buch keine der in sozialen Medien beliebten Anleitungen enthält, etwas selbst auszuprobieren. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Noemi Harnickell: "Fatale Flora". Von giftigen Pflanzen und gemeinen Menschen.
HarperCollins Verlag,
Hamburg 2025. 288 S., geb.
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