Feingesponnene Seelen- und Milieustudie aus dem schwedischen Hinterland - klassische Krimi-Action wird man nicht finden
Richtig gute Krimis sind ein Spiegel der Gesellschaft, in der sie spielen. Sie erzählen nicht nur von der Auflösung eines Verbrechens; nein, sie lassen uns vielmehr eintauchen in Schicksale, Beziehungen, Milieus und Orte. Hier ist es Jämtland, wo Schwedens höchste Berge stehen, direkt an der Grenze zu Norwegen. Das Geld aus Stockholm drängt sich auf die Lifte und Skipisten in Åre und Östersund; die Gegend boomt, die Immobilienpreise gehen durch die Decke. Aber die Alteingesessenen profitieren nur wenig von dem Touri-Andrang, für sie wird das Wohnen unerschwinglich, und anständige Jobs gibt es keine. Reiche Städter kaufen die leerwerdenden Häuser und nutzen sie nur für wenige Wochen im Jahr. Die Dörfer bluten so langsam aus, die Dorfgemeinschaften bröckeln, so wie das Dach im Gemeindehaus. Im Supermarkt gibt es vor allem Energydrinks, Cola und Süßkram zu kaufen - für die zahlungskräftigen Norweger, die zum preisgünstigen Shopping über die nahe Grenze kommen.Vera Bergström ist eine von den abgehängten Einheimischen, Mitte fünfzig, geschieden. Als die Lokalredaktion der 'Jämtlandsposten' geschlossen wurde, hat sie nach dreißig Jahren ihren Job als Reporterin verloren und jetzt muss sie als Schulbegleiterin arbeiten. Die Leiche einer Frau, die brutal erstochen im Wald gefunden wird, lässt Veras Journalisteninstinkte wieder erwachen, und sie beginnt, die Identität und die Geschichte des Opfers zu recherchieren. So entdeckt sie nach und nach nicht nur deren dunkle und tragische Vergangenheit, sondern findet am Ende auch den Täter.Dass die ermittelnde Figur in diesem Roman als Journalistin an einer emotional packenden Story interessierter ist als am unbedingten Finden des Täters, dass die polizeilichen Ermittlungen praktisch komplett ausgeblendet bleiben - all das gibt dieser Geschichte einen Winkel, den all die Kommissare und Detektive in den zig Krimis, die ich schon gelesen habe, allesamt nicht hatten. Das Interesse der Hauptfigur (und ihrer Autorin) gilt dem Opfer und seiner Geschichte viel mehr als der Tätersuche.Dabei kommt der Autorin zugute, dass sie verflixt gut darin ist, in die geschundene Seele der erstochenen Isabella zu blicken, dem einst so hässlichen dicken Teenager aus der kaputten Familie, die alles, wirklich alles tun würde, um auch nur die Illusion von Liebe und Anerkennung zu erhaschen. Verletzte Gestalten, die in den sterbenden Dörfern aufwachsen, das schildert Sara Strömberg so fein und exakt, wie ich es sonst höchstens noch von der gefeierten Krimimeisterin Tana French kenne. Die Sprache der Icherzählerin klingt authentisch für eine Reporterin, die klug und wortgewandt formulieren kann und sich manchmal richtig poetische Perlen gönnen darf. Da wird das Lehrerkollegium zur 'Erhabenheitsmafia' und dass die trockenen Laubhaufen im Herbst knistern, wie die Brötchentüten vom Bäcker, das fand ich auch sehr schön - in der deutchen Übersetzung von Leena Flegler, der es auch gelingt, manche schwedischen Besonderheiten geschickt dem deutschen Publikum nahezubringen.Da sehe ich es der atmosphärisch so dichten Story gerne nach, dass die Auflösung des Mordes ein bisschen arg plötzlich (und zugleich irgendwie nebenher) hochpoppt und den alten Krimifuchs ein wenig stirnrunzelnd zurücklässt.Im Ganzen aber hat mir "Im Unterholz" (Danke auch an den Verlag, dass sie beim Originaltitel geblieben sind und sich keine reißerische deutsche Wendung ausgedacht haben!) sehr gut gefallen und ich freue mich auf weitere Fälle aus dem traurigen Jämtland. Zugleich kann ich verstehen, wenn Leute irritiert sind, dass hier nur wenig Action zu finden ist und der Spannungsbogen nicht den Erwartungen an einen klassischen Ermittlerkrimi oder einen Thriller entspricht. In Jämtland ist eben so einiges ein wenig anders.