Besprechung vom 03.03.2025
Im Herzen der Deutschland AG
Lesenswerte Biographie über Roland Berger
In einem Porträt in der Sonntagszeitung wurde der Unternehmensberater Roland Berger vor vielen Jahren einmal mit den Worten beschrieben, er sei "eitel, aber nicht arrogant". Als Roland Berger 1967 in München sein Beratungshaus gründete, war der Beruf des Consultants in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Als er sich mehrere Jahrzehnte später schrittweise aus dem Geschäft zurückzog, gab es in Deutschland mehr als 100.000 Unternehmensberater. Und er war hierzulande zweifellos der bekannteste von allen. Zwar war er nicht der allererste Unternehmensberater in Deutschland, doch die Branche steckte noch in den Kinderschuhen, als er sein Beratungshaus öffnete. Im Bergischen Land war Gerhard Kienbaum schon aktiv und bot Unternehmen seine Hilfe an. Die amerikanische Beratungsgesellschaft McKinsey aber hatte gerade einmal drei Jahre zuvor ihr erstes Büro in Deutschland eröffnet, die Boston Consulting Group war hierzulande noch gar nicht präsent und Bain überhaupt noch nicht gegründet.
Die Aufstiegsgeschichte von Roland Berger wird jetzt erstmals in einer autorisierten Biographie von Gregor Schöllgen dargestellt. Der Historiker hat schon etliche Biographien geschrieben, unter anderem über die Altkanzler Willy Brandt und Gerhard Schröder, den Soziologen Max Weber, den Widerstandskämpfer Ulrich von Hassell, die Unternehmer Martin Herrenknecht, Gustav Schickedanz, Theo Schöller und zudem über bedeutende Unternehmerfamilien wie Brose, Diehl und Schaeffler. Dass er sich auf die Biographie von Roland Berger auf dessen Einladung hin eingelassen hat, begründet Schöllgen gleich zu Beginn des Buches damit, dass ihm Berger uneingeschränkten Zugang zu seinem Archiv und etliche Gespräche über Themen freier Wahl zugesagt hat.
Ganz hinten im Buch erfährt der Leser, dass diese Biographie nicht der erste Anlauf ist, die Lebensgeschichte von Roland Berger zu Papier zu bringen: Tatsächlich seien schon früher zwei Versuche unternommen worden, die "jedoch an der Qualität des von der Ghostwriterin beziehungsweise der Autorin Vorgelegten gescheitert sind". Vieles aus der Lebensgeschichte war bereits bekannt, denn Roland Berger hat Journalisten in Interviews gerne aus seinem Leben erzählt. Etwa darüber, wie er schon als Student erfolgreich zwei Firmen gegründet hat: Zuerst öffnete er im zarten Alter von 21 Jahren eine Wäscherei in München, die am Ende 15 Mitarbeiterinnen beschäftigte, bevor er das Unternehmen verkaufte. Später gründete er einen Spirituosenhandel mit Whisky, Cognac und Champagner. Nach dem Studium ging Roland Berger nach Italien und lernte in Mailand bei der Unternehmensberatung Pietro Gennaro Associati, die später Teil der Boston Consulting Group wurden, sein Handwerk.
Obwohl einiges schon bekannt war, finden sich in der Biographie viele neue Details. Und die Lebensgeschichte von Roland Berger ist überaus interessant. Zumal sich darin ein großer Teil der bundesdeutschen Unternehmensgeschichte von den 1960er-Jahren bis heute widerspiegelt: Dazu gehören etwa die Ölkrisen der 1970er-Jahre, der Einzug amerikanischer Managementmethoden in die deutschen Vorstandsetagen, die große Bedeutung der Deutschland AG, der RAF-Terrorismus und die Transformation der DDR-Wirtschaft mithilfe der Treuhandanstalt. Wer sich für deutsche Unternehmensgeschichte interessiert, stößt in dem Buch immer wieder auf wichtige Entscheidungen, an denen Roland Berger beteiligt war: etwa die Gründung des Reisekonzerns TUI 1968, den Wandel der deutschen Brauwirtschaft und der deutschen Stahlindustrie, die Reform der Deutschen Bahn, die Sanierung der Lufthansa und die Multimarkenstrategie von Volkswagen.
Schon früh erhielt Roland Berger Aufträge von der Deutschen Bank. Damit gelang ihm auch der Sprung ins Machtzentrum der deutschen Unternehmenslandschaft. Die Deutsche Bank war damals der Inbegriff der alten "Deutschland AG" mit ihren zahlreichen Überkreuzbeteiligungen und personellen Verflechtungen. 1987 übernahm die Bank sogar die Mehrheit am Unternehmen Roland Berger und war für über ein Jahrzehnt bestimmender Eigentümer des Beratungshauses, bevor die Partner um die Jahrtausendwende herum das Unternehmen im Rahmen eines Management-Buy-outs mithilfe von Roland Berger wieder zurückkauften. Dass die meisten Beobachter kaum realisierten, dass Roland Berger viele Jahre offiziell gar nicht der Herr im eigenen Hause war, gehört laut Biograph Schöllgen zu "seinen größten Lebensleistungen".
Anfangs leuchtet bei der Lektüre kurz die Gefahr auf, das Buch präsentiere Bergers Leben allzu heldenhaft, aber so ist es nicht. Das Buch ist gut geschrieben und leicht lesbar. An manchen Stellen verfällt der Autor zwar in einen schwärmerischen Ton, aber es kommen durchaus auch weniger ruhmreiche Episoden zur Sprache. Etwa seine Anfälligkeit, bei Privatinvestments auf vermeintliche Wunderkinder wie Lars Windhorst, Thomas Middelhoff oder René Benko hereinzufallen. Und Bergers Schwierigkeiten, sich am Ende des Berufslebens aus dem Rampenlicht zu verabschieden und den Nachfolgern die Bühne zu überlassen, die in dem bizarren Streit gipfelte, dass seine Nachfolger kurzzeitig so erzürnt über ihn waren, dass sie vor Gericht zogen, um ihm zu verbieten, seine E-Mail-Adresse bei Roland Berger nach seinem Ausstieg weiter zu nutzen. Das misslang ihnen freilich. Inzwischen haben sich beide Seiten längst wieder versöhnt. TILLMANN NEUSCHELER
Gregor Schöllgen: Roland Berger - Der Consultant. Biographie. Siedler Verlag, München 2024, 400 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Roland Berger - Der Consultant" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.