In welcher Welt ist das ein Kultbuch
Die Ich-Erzählerin berichtet von ihrer ersten lesbischen Affäre (heute würde man wohl Situationship sagen) mit einer fast 20 Jahre älteren, vergebenen Frau - Finn. So eine ähnliche Art der Beziehung (ob queer oder nicht) hatten wohl schon viele Menschen, deshalb war durchaus Identifikationspotenzial da, ich konnte mich mit dem Schreibstil der Autorin aber leider gar nicht anfreunden und inhaltlich blieb die Geschichte viel zu sehr an der Oberfläche. In recht losen Episoden, bei denen oft die Chronologie der Ereignisse unklar ist, erzählt die Protagonistin von den super intensiven Begegnungen mit Finn, die schon obsessiv werden, sehr hohen Höhen und sehr tiefen Tiefen, die das Ganze so ungesund machen. Ich weiß nicht, wie man Finn sympathisch finden kann, alles was sie sagt oder tut schreit Red Flag. Die Erzählerin ist zu dem Zeitpunkt mit 26/27 zwar auch nicht mehr ganz jung, dass eine Ende 40-jährige Frau sich so verhält ist aber maximal bedenklich. Sie lebt seit Jahren in einer festen Beziehung und lässt sich trotzdem mit der Erzählerin ein, lässt sie bei sich schlafen, sie gehen ständig in Bars, Cafés, besuchen sich bei der Arbeit - also im Prinzip eine Beziehung, ohne eine zu sein, während sie beide Frauen (die Erzählerin und ihre Freundin) verarscht, sich selbst aber als das Opfer der ganzen Sache sieht.Der Erzählerin ist bewusst, dass das nicht gut enden kann, trotzdem schafft sie es nicht, sich aus der Abhängigkeit zu lösen (we've all been there). Und hier hätte Finn halt die Erwachsene (die sie ist) sein und einen klaren Schlussstrich ziehen müssen, statt die arme junge Frau permanent mit Mails und halbgaren Liebesbekundungen zu bombardieren. Ich konnte die im Vorwort erwähnte Leidenschaft zwischen den beiden Frauen auch absolut nicht spüren, man erfährt auch viel zu wenig über ihre Charaktere, um sie als eigenständige Personen greifbar zu machen. Die Erzählerin existiert nur für Finn, und wenn diese nicht da ist, dröhnt sie sich mit diversen Substanzen zu.Meiner Meinung nach weniger lesbian Awakening als Warnung, sich von solch emotional nicht verfügbaren Leuten fernzuhalten.Dass dieses Buch unter lesbischen Frauen angeblich "heimlich" weitergegeben wird und alle es mit ihren (Ex-)Partnerinnen, Freundinnen, Affären etc. lesen, fällt mir schwer zu glauben. Ich konnte keine bahnbrechenden Erkenntnisse mitnehmen.