Besprechung vom 25.04.2025
Am Hass scheitern
Oren Kessler über die Wurzeln des Nahostkonflikts
Eine Welt ohne den Nahostkonflikt, ohne diese Kette von Kriegen, Abkommen, Terror und neuen Kriegen, bis zuletzt alles im Schatten der Gewalteskalation nach dem terroristischen Massaker vom 7. Oktober 2023 steht? Doch auch angesichts dieser jüngsten Schreckensnachrichten führt die Lektüre von Oren Kesslers "Palästina 1936" noch zu einer nicht minder schrecklichen Einsicht: dass dieser Konflikt, der politische, religiöse, ethnische und längst auch ideologische Faktoren heillos verwirrt, sich bereits über hundert Jahre in nahezu gleichbleibender Härte hinzieht. So etwas wie Hoffnung durchwirkt dieses Buch mit größter Sparsamkeit.
Das titelgebende Jahr 1936 ist ein früher, entscheidender Wendepunkt in der nahöstlichen Geschichte. Der "Große Aufstand", die blutige arabische Rebellion gegen die jüdischen Siedler und die britische Mandatsmacht, dauerte etwa drei Jahre, kostete Tausende das Leben, und in den Jahrzehnten seither dient er zur wirksamen Widerstandserzählung. "In dieser Zeit", so urteilt der Klappentext, "schlossen sich die Palästinenser über alle Gegensätze hinweg als Volk zusammen, während die Zionisten zu der Überzeugung gelangten, ihre Interessen nur mit Waffengewalt durchsetzen zu können." Einheit hier und Waffen dort?
Ginge es nicht auch umgekehrt: Jetzt schlossen sich die Juden über alle Gegensätze hinweg zusammen, während die Palästinenser zu der Überzeugung gelangten, ihre Interessen nur mit Waffengewalt durchsetzen zu können? Falsch wäre beides, und die Qualität von Kesslers Buch liegt gerade darin, dass es sich solch expliziter Parteinahmen enthält. Die sachliche Rekonstruktion der Geschichte ist aussagekräftiger als jede eindimensionale Suche nach historischer Schuld. "Folglich ist das vorliegende Buch", so der Autor, "eine Geschichte zweier Nationalbewegungen und des ersten großen Zusammenstoßes zwischen ihnen."
Eines ist bei alldem selbstverständlich: Ohne die jüdische Siedlungsbewegung seit dem späten neunzehnten Jahrhundert hätte es den Konflikt nicht gegeben. Kessler skizziert die Vorgeschichte: Als Teil des Osmanischen Reichs, seit April 1920 unter dem britischen Palästina-Mandat, kennt der Nahe Osten noch nicht die staatlichen Strukturen unserer Zeit. Mit der Balfour-Deklaration im November 1917 unterstützt die britische Regierung den Aufbau einer "nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina", zugleich sollen die bürgerlichen und religiösen Rechte der nichtjüdischen Bevölkerung geschützt werden.
Liegt hier die Wurzel des Konflikts? Einwanderungsquoten, Mehrheitsverhältnisse, territoriale Teilungen, politische, administrative, militärische Dominanz - unendlich deprimierend ist nachzulesen, wie unter den Protagonisten sich immer wieder die rücksichtslosen Vertreter der eigenen Sache durchsetzen; wie Terror auf der Straße den Alltag zum Kampfplatz macht; wie pazifistische Siedler zu Waffenträgern werden; wie all die Friedensideen, die man bis heute diskutiert - Unabhängigkeit, Zweistaatenlösung -, scheitern, an Unfähigkeit zum Kompromiss, an Maximalforderungen, Hass, Gewalt.
Seit dem 7. Oktober wird der Nahostkonflikt gerade in der internationalen Reaktion mehr denn je instrumentalisiert als Schauplatz ideologischer Kämpfe. Oren Kesslers Buch führt zurück zu den unverzichtbaren historischen Grundlagen und damit zu einer politischen Darstellung des für jede Friedensbemühung verlorenen Jahrhunderts; in die Zukunft blickt es nicht. Kann aus alledem anderes folgen als Hoffnungslosigkeit? Der große jüdische Gelehrte Gershom Scholem, 1923 nach Jerusalem eingewandert und zeitlebens bemüht um den Ausgleich zwischen Juden und Arabern, antwortete 1981 auf die Frage, wie eine Lösung in Palästina aussehen könnte: "Heute gibt es keine Lösung mehr." Die Katastrophe unserer Tage gibt ihm womöglich recht, und doch: Für die Menschen des Landes und die Politik kann auch das nicht das letzte Wort sein. In der Geschichte, die alle Lösungen erprobt hat, wird man die Lösung nicht finden. WOLFGANG MATZ
Oren Kessler: "Palästina 1936". Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz.
Carl Hanser Verlag, München 2025. 384 S., Abb., geb.
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