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Produktbild: Die Schrecken der anderen | Martina Clavadetscher
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Die Schrecken der anderen

Roman

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Martina Clavadetscher begibt sich ins Dunkel der Geschichte und Gesellschaft, wo das Unerzählte lauert. Schicht für Schicht trägt sie ab, um zur historischen Wahrheit vorzudringen. Sie zeigt, dass Dulden die scheinheiligste Form des Verbrechens ist, weil es keinen Widerstand kennt. Sie lässt uns begreifen, dass wir Geschichte zwar nicht weiterspinnen, aber ihre vergessenen Fäden ins Sichtbare ziehen können. Was sie erzählt, könnte die Geschichte jedes Menschen sein. In jedem Land, zu jeder Zeit. Solange niemand aus den Schrecken der anderen lernt.

Ein Junge stößt beim Schlittschuhlaufen auf einen Toten im Eis und den Beginn einer sonderbaren Geschichte. Kern, ein schwerreicher Erbe, kann nicht länger ignorieren, dass seine Augen schwächer werden. Doch will er überhaupt klarsehen? Da ist Kerns hundertjährige Mutter, die den größten Teil des Tages im Dachgeschoss der Villa im Bett liegt, und doch mit brutaler Konsequenz die Fäden in der Hand hält. Da ist Schibig, ein einsamer Archivar, der sich mitreißen lässt von Rosa, der Alten aus dem Wohnwagen, die an den eigentlich unspektakulären Vorfällen ein spektakuläres Interesse hat - weil sie versteht, dass nichts je ins Leere läuft, sondern alles miteinander verbunden ist: Der Tote im Eis, die Zylinderherren im Gasthof Adler, Kerns Frau, die sich weigert, Kreide zu essen, ein geplantes Mahnmal, bedrohliche Bergdrachen und andere hartnäckige Legenden.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
10. Juli 2025
Sprache
deutsch
Auflage
1. Auflage
Seitenanzahl
333
Dateigröße
0,87 MB
Autor/Autorin
Martina Clavadetscher
Verlag/Hersteller
Kopierschutz
mit Wasserzeichen versehen
Family Sharing
Ja
Produktart
EBOOK
Dateiformat
EPUB
ISBN
9783406836992

Portrait

Martina Clavadetscher

Martina Clavadetscher geboren 1979, ist Schriftstellerin und Dramatikerin. Nach ihrem Studium der Deutschen Literatur, Linguistik und Philosophie arbeitete sie für diverse deutschsprachige Theater, war für den Heidelberger Stückemarkt nominiert und zu den Autorentheatertagen Berlin 2020 eingeladen. Für ihren Roman "Die Erfindung des Ungehorsams" wurde sie 2021 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Sie lebt in der Schweiz.

Pressestimmen

Besprechung vom 01.10.2025

Drachen im Hochgebirge

Alte Seilschaften, neue Verantwortung: Martina Clavadetschers Roman "Die Schrecken der anderen" ergründet die Schweizer Geschichte.

Jeder Tote auf den ersten Seiten eines Romans ist ein jähes Zuviel, das hypothetisch, kriminalistisch, erzählerisch in die Gleichung eines Lebens gebracht werden muss. Der Tote muss ein Gestorbensein haben. In Krimis geschieht das meistens über Um- und Abwege. Am Anfang dieses Buchs flitzt hingegen ein Dreizehnjähriger auf den Schlittschuhen ziemlich gradlinig übers Eis, stolpert plötzlich, schaut näher hin, erschrickt, ruft die Polizei und setzt im Moorgebiet eines Schweizer Bergsees eine Fahndung in Gang, die tief in die Gründe rumorender Zeitgeschichte und alter Sagen hinabreicht.

Die Schweizerin Martina Clavadetscher. 2021 ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis, ist durch ihre Romane und Theaterstücke eine Spezialistin der Spannung zwischen Unter- und Vordergründigem. In ihrem vierten Roman dringt sie, vordergründig in Form eines Krimis, in die wohlgeordnete Welt einer Dorfgemeinschaft ein, wo mit fröhlicher Alltagslaune historische Altlasten auf Distanz gehalten werden.

Der von der Welt draußen überforderte Kriminalarchivar Schibig lässt sich widerwillig aufs Eis des Ödwilersees schicken, um die Sache nach dem Notruf jenes Jungen zu klären, der auf den Schlittschuhen über einen aus dem Eis ragenden Jeansfetzen gestolpert ist. Und tatsächlich liegt dort im Eis eine Leiche. "Die bleiben doch sonst unten bei dieser Jahreszeit", wundert sich der Mann.

Dasselbe findet auch eine Alte namens Rosa, die rauchend und whiskytrinkend aus ihrem Wohnwagenfenster am Rand des Sees so allerhand mitbekommt und nun plötzlich neben Schibig steht. Zu zweit machen die beiden - sie aus einem nicht ganz durchschaubaren Trieb zur Klärung, er an ihrer Seite in berauschender Wiederentdeckung des realen Lebens - sich ans Ermitteln eines Falls, der von den Behörden schnell als banaler Mord oder Selbstmord abgetan wird.

Auch dass die Identität und die Geschichte des Toten so gut wie bedeutungslos sind, entspricht in diesem Buch exakt den Gepflogenheiten des klassischen Krimis. Das Sterben, das ihm verweigert wird, kommt hier einer Hundertjährigen zu, die wirres Zeug faselnd, scharf denkend und dezidiert handelnd in einer Villa ihrem Ende entgegenstirbt. Sie ist Erbin eines reichen lokalen Fischzüchters, der in den Dreißigerjahren mit Berlin gute Geschäfte machte, dann vergeblich den Anschluss der Schweiz ans Reich erwartete, auch danach aber an diskreten, nunmehr aus Südamerika kommenden Geldflüssen beteiligt blieb. Dieses nicht nur finanzielle, sondern auch ideologische Erbe aus Weltläufigkeit und Bodenständigkeit verwaltet die Hundertjährige nun aus ihrem Sterbebett, weil ihr schwächlicher, mit halluzinatorischen Sehstörungen kämpfender Sohn, von allen nur mit seinem Nachnamen Kern genannt, dazu unfähig ist.

Wie Schibig sich aus der Realität in alte Drachensagen flüchtet, tappt dieser Kern in seinen "Star Wars"-Visionen herum. Er drückt sich davor, den Vorsitz der "Nationalen Front" zu übernehmen, eines obskuren Herrenklubs, der statt von politischen Bühnen herab lieber durch diskrete Förderung von Privatschulen der Jugend zu mehr völkischer Durchsetzungskraft verhelfen will. Das neue Denkmal des Zweiten Weltkriegs gleich neben dem ehemaligen Schlachtfeld, auf dem die Eidgenossen einst die Habsburger schlugen, vermag diese Lobby zwar nicht zu verhindern. Ein Monolith mit Reichsadler hinter dem Dorffriedhof bleibt aber stehen, und in einer Scheune treffen sich ein paar Wirrköpfe von der "Jungen Aktion", vom Nachrichtendienst überwacht und schnell vergessen.

All das ist schwere, vielleicht zu schwere Themenkost für dieses Buch. Was in den ersten Kapiteln atmosphärisch geschickt aufgebaut wird als bedrückende Größe einer Gebirgslandschaft, in welcher nicht nur das Methangas aus den halb verwesten Torfschichten heraufdrückt, verliert sich in Einzelszenen und überflüssige Nebenhandlungen. Die Autorin spielt auf aktuelle Ereignisse und historische Fakten an und nennt in den Anmerkungen auch ein paar Quellen. Da sie in ihrer Fiktion aber auf historische Genauigkeit nicht zu achten braucht, kann sie die aufgegriffenen Geschichtsmotive in meisterhafte Detailschilderung aufgehen lassen - ihr wahres Talent.

Ihr Roman liest sich wie ein fesselndes Filmdrehbuch. Erzählt wird im Präsens aus einer Perspektive, die bis in die feinsten Gehirnwindungen der Figuren hineinreicht. Schnitte und Gegenschnitte wechseln einander ab. Der Blick zoomt über die Felsen des Frakmonts in den Sternhimmel und wieder zurück auf das ironische Mundwinkelzucken der Alten. Aus dem Off hört man Stimmen oder fernes Hundegebell, und nachts führt ein Travelling im Scheinwerferlicht von Kerns Mercedes an der verschneiten Straßenkante entlang. Man fragt sich aber zunehmend, worauf das hinauswill. Historische Extrapolation? Warnung vor den Untoten? Oder doch Krimi?

Im Fortgang spitzt sich der Roman auf Zweiteres zu: auf den Kampf gegen konspirativ lauernde neofaschistische Kräfte. Ein Kampf, den die psychologisch fein gezeichneten Figuren allerdings nicht durchzuhalten vermögen. Die enigmatische Alte mit ihren klimpernden Ketten um den Hals, die nebst ihrem Wohnwagen offenbar mehr Unterkünfte rund um die Welt besitzt, als der Leser weiß, beharrt zwar auf ihrer Überzeugung, dass alles mit allem zusammenhängt und irgendwie Sinn ergibt. Deshalb versteht sie sich nicht als systematische Fahnderin, sondern eher als Sammlerin von Zufällen. Nach dem Endkampf mit der Hundertjährigen an deren Totenbett bleibt sie aber dabei: Man muss sich vor bösen Wiederholungen hüten. Wahrscheinlich, wie ihr Komplize Schibig einmal bemerkt, weil niemand jemals etwas von den Schrecken der anderen lernt. Schon gar nicht die so sehr mit sich selbst beschäftigten Figuren dieses Romans. Denn in ihrer Selbstbezüglichkeit sind sie am stärksten. JOSEPH HANIMANN

Martina Clavadetscher: "Die Schrecken der anderen". Roman.

Verlag C. H. Beck, München 2025. 333 S., geb.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.

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LovelyBooks-BewertungVon angioletta am 28.09.2025
Ein Stück dunkle Schweizer Geschichte, Schicht für Schicht entblättert, mit seltsamem Ende, aber jeder Satz sitzt! " - Aber wir wissen alle, das Schwierigste ist ein Drittes, und zwar daraus zu lernen und entsprechend zu handeln - der Blick in die Zukunft." (S. 251)Wunderliche Charaktere lässt Clavadetscher da am Rande eines Schweizer Sees aufeinanderprallen: eine "Alte", die in einem Wohnwagen haust und definitiv mehr über die Bewohner des Dorfes weiß, als diesen lieb ist, einen Archivar mit Angststörung, der in Gegenwart der Alten wieder durchatmen kann, einen fehlsichtigen Investor mit einer pflegebedürftigen Mutter im Obergeschoss, die hartnäckig auf die Zeugung eines Erben besteht.Doch was heißt da aufeinanderprallen? Zuerst einmal stolpert nur allzu neugieriger Schüler auf dem zugefrorenen See über ein Stück Stoff und entdeckt damit eine Leiche. Dieser Fund sorgt dafür, dass Schibig die Alte kennenlernt, doch was Kern damit zu tun haben könnte, das wird erst viel später aufgedeckt. Nur so viel: der Aufbau der Geschichte, der die Charaktere zunächst parallel zueinander entwickelt, ist bis ins Detail durchdacht. Manche Verbindung lässt sich früh erahnen - und doch steckt in fast jedem Kapitel ein neuer Aspekt, eine Überraschung, eine Wendung, was die Lektüre sehr fesselnd macht.Vor allem aber ist "Die Schrecken der Anderen" ein sprachlicher Hochgenuss, bei dem jeder Ausdruck exakt gewählt ist und einfach jeder Satz sitzt. Die Beschreibungen sind knapp und doch absolut auf den Punkt. Die Dialoge machen oft Spaß - trotz der düsteren Stimmung, welche früh erahnen lässt, dass hier unangenehmen Wahrheiten an die Oberfläche drücken.Ja, Clavadetscher hat sich in diesem Roman eines unliebsamen Themas angenommen. Dass sie in dieser Sache so ausdrücklich Position bezieht, ist einerseits sehr mutig - doch gegen Ende wurde mir diese Moral dann doch etwas zu platt und glatt in die Figuren und die Story gedrückt, gerade auch im Vergleich zum geschickt in Graubereichen spielenden Einstieg.Trotz dieses Wermutstropfens eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die ein wenig bekanntes Stück Schweizer Geschichte mit einer sprach- und bildgewaltigen fiktiven Umsetzung in die öffentliche Diskussion rückt.
LovelyBooks-BewertungVon Alrik am 03.09.2025
Wenn Zylinderherren tanzen und Tote im Eis liegen Manchmal stolpert man über ein Buch und denkt: Was zur Hölle passiert hier eigentlich - und warum macht es trotzdem so süchtig? Genau so ging's mir bei Die Schrecken der anderen. Martina Clavadetscher hat wieder mal tief in die Trickkiste gegriffen und ein literarisches Labyrinth gezimmert, das gleichzeitig verstört, fasziniert und zum Lachen bringt (ja, sogar das!).Da ist dieser Tote im Eis - klingt nach Krimi, ist aber mehr so ein Türöffner in eine Geschichte, die permanent aus den Angeln springt. Plötzlich hängt man zwischen Zylinderherren, schrägen Archivaren, einer alten Frau im Wohnwagen und einem Mahnmal, das fast lebendiger wirkt als die Leute drumherum. Und mittendrin Kern, der schwerreiche Typ, dessen Augen nicht mehr mitmachen wollen. Klare Sicht? Fehlanzeige! Aber genau das macht's genial: Der Leser sieht mehr als die Figuren, während man gleichzeitig spürt, dass man selbst auch nicht durchblickt. Mindfuck deluxe.Was mich komplett weggeblasen hat, ist diese Mischung aus realer Geschichte, Mythos und feiner Ironie. Clavadetscher zieht die Schichten ab wie eine Zwiebel - nur dass einem dabei nicht die Augen tränen, sondern der Kopf glüht. Und sie haut einem so nebenbei die unbequeme Wahrheit um die Ohren: Dulden ist auch ein Verbrechen. Zack, sitzt.Trotz aller Düsternis steckt in dem Buch ein wilder Funken Humor, so schräg und unerwartet, dass man ständig grinst, obwohl man eigentlich Gänsehaut haben sollte. Das ist kein Roman zum Wegsnacken vorm Einschlafen. Das ist ein Erlebnis. Ein literarischer Trip, der dich auf der Couch fesselt und nachts im Traum noch Zylinderherren vor dir tanzen lässt. Ich sag's mal so: Wer mutig ist, liest das. Wer feige ist, verpasst das Abenteuer seines Lebens.