In Irland gab es bis 1996 keine Ehescheidung. Erst dann wurde sie durch ein Referendum mit einer äußerst knappen Mehrheit von noch nicht einmal einem Prozent (!), so die Anmerkung des Autors, eingeführt. Murrin schreibt über Ehemänner, die ihre Frauen als Eigentum betrachten, selbstherrlich Entscheidungen über deren Köpfe hinweg treffen und sie wie Gegenstände herum schubsen. Ein Ehemann, von seiner Frau verlassen, verbietet selbiger das Umgangsrecht mit den Kindern, vordergründig, um die Kinder nicht zu verwirren, doch tatsächlich, um an seiner Frau Rache zu nehmen für seine gekränkte Eitelkeit. Dabei hat er längst eine neue Herzensdame und an der Wiederaufnahme der Ehe mit seiner noch angetrauten Gattin keinerlei Interesse. Das Wohl der Kinder ist nur vorgeschoben. Er will vielmehr seine Macht ausspielen, eine Macht, die die irische Rechtsprechung aus dem Jahr 1994/95 ihm zugesteht. Dieser Mann tritt im Roman nur in einer einzigen Szene persönlich in Erscheinung, und in dieser Szene klagt er einen andern Mann an, seine Frau nicht "im Griff" zu haben. Die aus der Ehe ausgebrochene Frau, Stein des Anstoßes und Gegenstand der sozialen Kontrolle, wird sehr klischeehaft geschildert, eine mannstolle Dichterin mit exaltierter Kleidung und wirren Haaren, die ihren Kummer wehleidig im Alkohol ertränkt und keine bessere Idee hat, als mit dem nächstbesten gut gebauten attraktiven Mann in die Kiste zu hüpfen. Dass dieser Mann nicht besonders schlau und außerdem ein mieser Charakter ist, ist ihr bewusst. Aber egal, sie hat ja noch nicht genug Probleme. Dass dieser Mann über keinerlei Problemlösungsstrategien verfügt und maximal von jetzt bis übermorgen denkt, empfinde ich als weiteres Klischee. Der einzig integere Mann in diesem Roman ist ausgerechnet ein Pastor, der eine freundschaftliche Nähe zu einer der Protagonistinnen pflegt, die den beiden genommen wird, weil Klatsch, Tratsch, vielleicht auch Neid, soziale Kontrolle, auf jeden Fall aber Bigotterie diese Freundschaft nicht dulden. Der Roman lässt sich schnell lesen, denn er ist flüssig geschrieben mit einem sehr hohen Anteil an Dialogen, wenn auch für meinen Geschmack insgesamt etwas zu langatmig erzählt. Allerdings hätte ich mir ein wenig mehr "Show, don't tell" gewünscht. Die Handlung konzentriert sich neben den eingangs erwähnten Ehemännern auch auf deren Frauen. Aber leider sind deren Charaktere leicht unterkomplex und eindimensional, so dass ich am Anfang wirklich Schwierigkeiten hatte, sie in der multiperspektivisch erzählten Handlung nicht zu verwechseln. Außerdem fühlte ich mich die ganze Zeit etwas unangenehm berührt, weil mir der Blick auf dieses ganze Unglück so voyeuristisch erschien. Deshalb stellt sich mir die Frage, wie es sein kann, dass ein Gesetz, dass es diesen unglücklichen Menschen ermöglicht, ihr Leben zu verändern, so wenig Zustimmung erhalten konnte. Was ich aber überhaupt nicht verstehe, ist die seltsam anmutende Moral, mit der Murrin seinen Roman beendet: Sei zufrieden mit dem, was du hast, beschwere dich nicht, gehe nicht in den Diskurs mit deinem Mann, lächle. Diese Gedanken legt er einer seiner Protagonistinnen in den Mund, die in ihrer Ehe seit Jahren unglücklich und unzufrieden ist, gerne gehen möchte, jedoch nicht die Kraft aufbringt, ihren Mann, den sie noch nicht einmal besonders mag, zu verlassen, auch dann nicht, nachdem ihr der Ausgang des Referendums legal die Möglichkeit dazu einräumt. Am Ende ist ihr das gesicherte Leben in Wohlstand doch ein bisschen wichtiger als ihre persönliche Freiheit für den Preis einer unvorhersehbaren Zukunft. Das soll die Quintessenz dieser Geschichte sein? Ich habe so viele durchweg positive Rezensionen über dieses Buch gelesen, dass ich einen etwas anderen Roman erwartet hatte und bin deshalb ein bisschen enttäuscht, denn ich hatte mir die Aufbereitung der Story tiefgründiger vorgestellt. Alan Murrin hat einen Roman geschrieben, an dem man sich abarbeiten kann, und der bestens geeignet ist für Lesekreise, weil er viel Diskussionsstoff liefert. Dass er meinen persönlichen Geschmack nicht ganz trifft, tut dabei überhaupt nichts zur Sache. Das Cover ist ein wunderbarer Eye-Catcher und schwer zu überbieten. Ein Highlight im Regal. "Coast Road" ist Murrins Debütroman, der von Anna-Nina Kroll ins Deutsche übersetzt wurde.