Hitlers letztes Aufgebot war minderjährig. Aufgepeitscht durch Kriegspropaganda, glaubten viele Hitlerjungen, sie könnten den Endsieg noch herbeiführen und Deutschland vor dem Untergang bewahren. Etwa 200 000 Luftwaffenhelfer ab 15 Jahren verteidigten schon 1943 deutsche Städte fast im Alleingang; im Herbst 1944 wurde der Volkssturm für alle ab 16 Jahren zur Pflicht, und 1945 missbrauchte die NS-Führung selbst 14-jährige als Lückenfüller und Kanonenfutter in Panzervernichtungstrupps. Allein in den letzten Kriegswochen fielen über 60 000 Kindersoldaten. Die Überlebenden leiden bis heute an verdrängten Kriegstraumata, und die meisten von ihnen konnten oder wollten nie darüber sprechen. Am Ende ihres Lebens berichten 13 Zeitzeugen unbeschönigt von ihren Kindheitserlebnissen während erbarmungsloser Kämpfe oder zermürbenderGefangenschaft. Gewohnt mutig, mit präziser historischer Einordnung und dem Blick auf gegenwärtige Spannungen widmet sich Christian Hardinghaus im dritten Teil seiner "Generationenreihe" den jüngsten Kämpfern des Zweiten Weltkriegs - den heute ältesten Mitgliedern unserer Gesellschaft. (Klappentext)Dieses Buch gehört in die Kategorie "zu wenig und zu spät". Es passt sicher nicht in den gegenwärtigen Mainstream - dass es dennoch geschrieben wurde, ist dem Autor hoch anzurechnen. Das Buch zeigt an Einzelschicksalen aufgemacht, die ganze Brutalität und Rücksichtslosigkeit eines modernen Krieges in aussichtsloser Lage. Unter bewusster und sinnloser Opferung der letzten zur Verfügung stehenden "menschlichen Ressourcen" - die Opferung der jüngsten Generation. Von der NS-Führung missbraucht und im Stich gelassen. Es wird fundiert beschrieben, wie diese Jungen, die der Propaganda-Maschinerie schutzlos ausgeliefert waren, durch frühzeitige Erziehung zur Disziplin und zum bedingungslosen Gehorsam in der Gemeinschaft und ohne Rücksicht auf die eigene Person soldatische Höchstleistungen erbringen konnten - nur dem Wohl des Reiches verpflichtet. Das ist heute vielleicht schwer verständlich in einer Zeit, in der es zum guten Ton gehört, "Vaterlandsliebe stets zum Kotzen zu finden" (Robert Habeck). In einer provokanten Einleitung, in der heute in Deutschland lebende Personen durch eine in Afghanistan geborene Künstlerin und einen aus Sri Lanka stammenden Essayist in zwei Gruppen von Menschen eingeteilt werden, nämlich in Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Nazihintergrund wird u.a. auf die Schwierigkeit eingegangen, noch lebende Zeitzeugen zu finden und zu befragen. Grundlagen, Organisation und Einsatz von HJ und Volkssturm schließen sich gut lesbar an. Dann werden 13 Einzelschicksale beschrieben, durch Befragung ermittelt. 13 Schicksale von Tausenden; von vielen die sich nicht mehr äußern können und die deshalb so wertvoll sind, weil es die letzten sein werden, die aus der Anonymität heraustreten und die damit ein Gesicht erhalten und uns, die Nachgeborenen direkt beteiligen. Jedes Schicksal dieser Kindersoldaten ist ein anderes und doch haben sie manches gemeinsam: Sie haben den totalen Krieg in seinem Endstadium mit seinen Grausamkeiten, auch persönlichen Verwundungen erlebt, aber auch Menschen, die geholfen haben, zu überleben und sie haben es geschafft, ein Leben nach dem Krieg zu führen. Und doch: Am Ende es Lebens haben sie die Möglichkeit wahrgenommen, darüber zu sprechen. Das Verdienst des Autors ist es, dies in einer unaufgeregten Weise und gut lesbar zu dokumentieren. Auch die letzte Frage, die der Autor allen Beteiligten gestellt hat, nämlich ob sie Kenntnis über den Holocaust hatten, haben alle ausnahmslos glaubhaft verneint. Wobei einer von ihnen eingeräumt hat, dass er nicht weiß, wie er empfunden hätte, hätte er es gewusst. Entscheidungen des Führers wurden eben nicht in Frage gestellt. Ich möchte dieses Buch als ein wichtiges Zeitzeugnis zu unserer Geschichte weiterempfehlen. Fünf Sterne sind auf jeden Fall angebracht.Die Verratene Generation und die Verdammte Generation werde ich mir auf jeden Fall beschaffen.