Wirtschaftswunderzeit in Deutschland. Lieselotte "Lilo" Kowatz, hat sich mit ihrem Modeatelier in der nordhessischen Schickeria schon einen Namen gemacht. Doch ihr Ziel ist es, eine eigene Bademodenkollektion bei Neckermann rauszubringen. Dafür wird Ehemann Harry kurzerhand in eine passende Position bugsiert, ihrer Tochter Reni hat sie währenddessen längst eine Karriere als Mannequin geebnet. Und auch Renis Beziehung zum deutlich älteren Chef der Modeschauengesellschaft, Fred, ist aus Lilos Sicht vor allem eines, nämlich nützlich. Dass sie eigentlich einen anderen liebt, spielt keine Rolle. Erinnerungen an NS-Vergangenheit?! Werden diskret unter den eleganten Perserteppich gekehrt, doch die Justiz und Renis Weggefährten wirbeln den Staub neu auf.Was als klassische Aufstiegsgeschichte beginnt, entpuppt sich bald als komponiertes Rollenspiel mit Lilo als Regisseurin. Während sie kontrolliert und lenkt, wächst in Harry und Reni leise der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung. Ihre Entwicklung ist absolut fesselnd und mit der stärkste Handlungsstrang. Beeindruckend sind aber ebenso die in den Roman eingebetteten, historisch belegten Fakten zu Unternehmen wie Neckermann, die während des Dritten Reichs von "Arisierungen¿ profitierten und nach Kriegsende überwiegend ungeschoren weitermachen konnten. Der Einstieg fiel mir zunächst nicht ganz leicht - Koschmieders Stil hat mich gefordert, vor allem zu Beginn. Er hat Leerstellen gelassen, Köder ausgehangen, die dann nicht immer zu klaren Antworten geführt haben. Doch genau das hat die Stärke dieses Romans für mich ausgemacht! Denn neben zahlreichen historischen Fakten, die in einem fiktiven Handlungsrahmen verwoben sind, wird den LeserInnen noch reichlich Raum zur Interpretation gelassen. Insbesondere als es um Themen wie Abtreibung, Vergewaltigung oder die ungewollte Schwangerschaft ging, wurden diese teilweise nur angedeutet und dazu mit einer nüchternen, geradezu gefühlskalten Zurückhaltung erzählt, die mich jedoch mehr getroffen hat, als es jede drastische Schilderung könnte. Vieles blieb bis zum Schluss unausgesprochen - und hat dadurch umso stärker nachgewirkt.Es ist kein Buch, das man nebenbei liest, sondern eins, das Aufmerksamkeit fordert und gleichzeitig mit einem vielschichtigen Blick auf das Wirtschaftswunder, weibliche Ambitionen und auf all das, was lieber unter edlem Stoff verborgen bleibt, belohnt.Leseempfehlung!