Empfehlenswerter, kenntnisreicher Roman über die Nordseeinseln und die Entwicklung, die dort vor sich geht
Das Buch beinhaltet den dritten Roman der Autorin und ist 2022 erschienen. Erzählt wird die Geschichte einiger Menschen, die auf einer Insel in der Nordsee leben, zum Teil seit vielen Generationen. Jeweils in der dritten Person, aber dennoch aus Sicht dieser Leute, wird ein Blick auf ihr Inselleben geworfen.Dörte Hansen hat großes Talent, mit wenigen Sätzen, in denen auf Dialoge fast vollkommen verzichtet wird, im Kopf des Lesers ein Bild entstehen zu lassen, das sehr klar und deutlich die darin enthaltene Stimmung vermittelt. In dem Fall eine eher trübe, durch Stürme und Regen geprägte Stimmung, die korrespondiert mit der latenten Einsamkeit der Inselbewohner.Die natürlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, die langfristig zum Verschwinden der Inseln und ihrer heimischen Bevölkerung führen werden, fasst die Autorin in wundervollen Formulierungen zusammen, denen man das Bedauern deutlich anmerkt: "Das Fließen, Strömen und Verlanden, Stürmen, Auseinanderreißen hört nicht auf. Land gewonnen, Land zerronnen. Alles will hier Horizont sein. Und falls die See doch länger brauchen sollte, werden Bustouristen, Kurzurlauber, Kapitänshauskäufer dafür sorgen, dass die Leute von den Inseln untergehen. Ihre Sprache nicht mehr sprechen, ihre Lieder nicht mehr singen, ihre Trachten nur noch für die Gäste tragen und zu Kleindarstellern ihres Lebens werden." (Penguin Tb, 1. Aufl. 2022, S. 168)Die Gäste der Inseln charakterisiert sie folgendermaßen: "Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr weh tut." (ebd., S. 21) Auch wenn diese Zeilen im Kontext eindeutig auf die Badegäste gemünzt sind, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autorin den ursprünglichen Inselbewohnern ähnliche Makel andichten will, denn die erwähnten Einheimischen haben irgendwie auch einen gewaltigen Hau, deren Gemeinsamkeit die gegenseitige Sprachlosigkeit ist. Ein wenig missglückt fand ich, wie die Autorin auf der einen Seite darauf verweist, dass es einerseits unter den Inselbewohnern keine Geheimnisse gibt "Es gibt auf der Insel kein Geheimnis." (ebd., S. 13) und auf der anderen Seite darauf hinweist, dass es dann doch "neue" Inselbewohner gibt, die die Insel zwar kennen, aber doch fremd sind: "Die meisten dieser Leute hatte Hanne nie gesehen." (ebd., S. 77). Das beißt sich gegenseitig.Kenntnisreich schildert die Autorin das Dilemma der Inselbewohner mit den Touristen. Auf der einen Seite ermöglichen ihnen diese "Nutztiere", wie sie sie einmal nennt, eine Möglichkeit, relativ einfach den Lebensunterhalt zu verdienen, gar Wohlstand zu erreichen, auf der anderen Seite zerstören sie ihre Lebensgrundlagen, wenn sie sich z.B. keine Wohnungen mehr leisten können.Alles in allem aber ein empfehlenswertes Buch einer Autorin, die es wie nur wenige andere versteht, den Leser in eine Stimmung, ein Ambiente, ein Setting hineinzuführen, so dass er die Empfindungen der Protagonisten nicht nur nachvollziehen, sondern fast mitfühlen kann. Vier Sterne.