Mit "Gesellschaftsspiel Visionär, hellwach, der Gegenwart einen halben Schritt voraus"
hat Dora Zwickau einen Roman geschrieben, der auf den ersten Blick als Familienstudie beginnt und sich dann zu einer überraschend tiefgründigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit unserer heutigen Zeit entwickelt.
Meine Ansichten / Gedanken dazu:
Das Cover ist mit seiner angenehmen Farbgestaltung und den drei Gesichtern, die das Thema des Romans widerspiegeln, ansprechend gestaltet. Und die kurz gehaltenen Kapitel mit einem flüssigen, ansprechenden und direkten Schreibstil machen dass Lesen angenehmen.
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Sicht der Schwestern Isabelle und Annika sowie deren Tante Dagmar, ergänzt durch Auszüge aus Podcasts, E-Mails und Chats. Dadurch ist das Buch nicht linear, sondern lebendig, modern und unruhig wie ein Nachrichtenfeed, aber dennoch gut zu lesen. Die vielseitigen Perspektiven geben zwar Einblicke in die Gedankenwelt der drei Familienmitglieder, aber die Charaktere selbst wirken eher kühl, fast unnahbar und zeigen wenig Emotionen. Dadurch konnte ich nicht wirklich eine Empathie zu ihnen aufzubauen. Hier hätte etwas mehr Ausarbeitung der Figuren der Story gut getan.
Im Kern der Familiengeschichte steht der Versuch der entfremdeten Isabelle und Annika, am Sterbebett ihrer Mutter wieder zueinanderzufinden. Auch ihre Tante Dagmar ist Teil dieses schwierigen Annäherungsprozesses nach dem Schlaganfall ihrer Schwester. Es ist eine Erzählung über Verlust, Entfremdung und die Mühen des Wiederzusammenwachsens.
Parallel dazu entfaltet sich die zweite, hochinteressante Ebene des Romans: Ein internationaler Tech-Milliardär, genannt Double Z, möchte der Gesellschaft ein "Update" verpassen. Seine Vision einer revolutionär neuen Gemeinschaft, die per App funktionieren soll, wird ausgerechnet im geschichtsträchtigen Weimar der Stadt Goethes und Schillers sowie Geburtsstätte der ersten deutschen Demokratie gestartet. Und alle dürfen / sollen mitmachen. Schnell finden sich Isabelle, Annika und Dagmar einer öffentlichen Debatte wieder, denn was da auf sie zukommt, ist gleichermaßen vielversprechend wie rätselhaft.
Aber dieses Projekt wirft unweigerlich die Fragen auf: Ist dies der Neustart für die Demokratie oder der Anfang vom Ende? Wie gestalten wir unser Zusammenleben im digitalen Zeitalter? Was passiert, wenn Tech-Visionäre anfangen, Gesellschaft neu zu programmieren? Und wie viel Mitbestimmung bleibt dabei noch? Wie viel Einfluss hat die digitale Welt auf unsere Demokratie?
Meine Schlussfolgerung:
Gesellschaftsspiel ist wohl keine Zukunftsvision mehr. Es ist ein Buch über dass Hier und Jetzt über Macht, Manipulation, Digitalisierung, Mitbestimmung und Ohnmacht gegenüber solchen Tech-Visionären. Und es lässt einen über die Rolle von Familie, Demokratie und die Zukunft unserer Gesellschaft nachdenken.