Die sogenannte "transnationale Geschichte" und die "Globalgeschichte" gehören derzeit zu den am meisten diskutierten Konzepten der Geschichtswissenschaft. Verfechter der Globalgeschichte wollen die Fixierung auf einzelne Staaten, Regionen oder Kulturkreise überwinden und stattdessen historische Prozesse und Phänomene in ihren globalen Dimensionen untersuchen. Für Aufsehen sorgte vor einigen Jahren der kühne Versuch des Historikers Jürgen Osterhammel, die Geschichte des 19. Jahrhunderts als Globalgeschichte darzustellen, losgelöst von den traditionellen Bezugspunkten der Geschichtswissenschaft wie dem Nationalstaat oder dem "Westen". Wer gedacht hat, ein so ambitioniertes Werk könne nicht überboten werden, der sieht sich nun eines Besseren belehrt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die gesamte Weltgeschichte ins Visier der Globalhistoriker geraten würde.Seit 2012 bringen Harvard University Press und der deutsche Verlag C.H. Beck gemeinsam ein auf sechs Bände angelegtes Werk heraus, das die Geschichte der Welt aus globalgeschichtlicher Perspektive neu vermessen und neu darstellen soll. Ein solches Vorhaben ist nur kollektiv zu bewältigen. Den Auftakt bildet der von der amerikanischen Historikerin Emily Rosenberg herausgegebene Band "1870-1945. Weltmärkte und Weltkriege", der es auf einen Textumfang von 1.000 Seiten bringt. Wenn alle Bände genauso oder auch nur annähernd so umfangreich ausfallen wie der Band "Weltmärkte und Weltkriege", dann wird die Reihe auf einen Gesamtumfang von 5.000 bis 6.000 Seiten kommen. Es stellt sich die Frage: Wer soll das alles lesen? Daran schließt sich eine zweite Frage an: Für wen sind die stattlichen (und teuren) Bände eigentlich gedacht? Welches Publikum haben die Verlage, Herausgeber und Autoren im Blick?Der von Rosenberg herausgegebene Band ist in fünf Kapitel gegliedert, die so umfangreich sind, dass sie ohne Weiteres als separate Bücher veröffentlicht werden könnten. Die fünf Kapitel behandeln Themen, die als markante Leitmotive der Weltgeschichte zwischen 1870 und 1945 gelten können: Der Siegeszug des modernen Staates (Charles Maier); Kolonialreiche und Imperien (Tony Ballantyne/Antoinette Burton); Migrationsströme (Dirk Hoerder); Welthandel (Steven Topik/Allen Wells); die kulturelle Vernetzung der Welt (Emily Rosenberg). Alle Beiträge gehen von der Prämisse aus, dass die einzelnen Weltregionen gleichrangig zu behandeln sind, dass eine Bevorzugung Europas bzw. des Westens nicht mehr zeitgemäß ist. An die Stelle einer "Geographie des Raumes" tritt eine "Geographie der Zusammenhänge". Die Autorinnen und Autoren arbeiten die Hauptmerkmale der behandelten Epoche heraus: Die Verringerung räumlicher und zeitlicher Distanzen dank technologischer Innovationen; die Intensivierung von Herrschaft und Staatlichkeit; die sogenannte Zweite Industrielle Revolution; die zunehmende Verflechtung der Welt durch Wirtschaftsbeziehungen und Kulturtransfers.Der Band weist ähnliche Schwächen auf wie Osterhammels "Verwandlung der Welt". Zunächst einmal wirkt der schiere Umfang des Buches abschreckend. Hinzu kommt, dass die Autorinnen und Autoren ein immenses ereignisgeschichtliches Vorwissen voraussetzen. In allen Kapiteln fallen jähe chronologische, geographische und thematische Sprünge auf, schlimmstenfalls sogar mehrfach auf einer Seite. Es mag ja sein, dass die Autorinnen und Autoren mühelos von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent springen können, ohne den Überblick zu verlieren. Aber was ist mit Lesern, die allenfalls die Geschichte ihres eigenen Landes oder Europas überschauen? Auf solche Leser wirken die Ausführungen der Autorinnen und Autoren rasch zusammenhanglos und verwirrend. Einige der Themen, etwa die von Hoerder behandelten globalen Migrationsströme oder die von Topik und Wells - auf 41 Seiten! - erörterten Dimensionen des weltweiten Weizenanbaus und Weizenhandels, sind eine trockene Materie, die vielleicht Fachleute zu interessieren vermag, für Laien aber eher langweilig ist. Man merkt: Hier schreiben Professoren, die auf ihren wissenschaftlichen Steckenpferden herumreiten, sich an ihrem Spezialwissen berauschen und sich kaum darum bemühen, die von ihnen propagierte Globalgeschichte in ansprechender, lesenswerter und unterhaltsamer Form zu präsentieren.Dazu passt auch der sprachliche Duktus der Beiträge. Es wimmelt vor neumodischen "buzz-words", mit denen (zu) viele Historiker beweisen wollen, dass sie mit aktuellen Debatten und Forschungsparadigmen vertraut sind. Begriffe wie "Netzwerke" und "Vernetzung" sind noch harmlos. Unverständlich sind hingegen Wortungetüme wie "Konnektivität", "Gouvernementalität" und "Kommodifizierung". Was bitte schön soll das sein? Besonders Rosenberg, Ballantyne und Burton gleiten oft in verquasten akademischen Jargon ab. Sie traktieren den Leser mit Sätzen wie: "Wir orientieren uns an der postkolonialen Kritik und betrachten das Globale nicht als a priori bestehende Kategorie, sondern als Verortungsinstrument: als Deutungsrahmen, der es uns ermöglicht, ein Imperium in Relation zu einem sich herausbildenden, oftmals stockenden oder unvollständigen Gefüge von Prozessen zu setzen, statt es in einem territorial vorgegebenen Koordinatensystem zu verorten" (S. 303) oder auch "Die Metapher der Strömungen mit ihren Verbindungsknotenpunkten erleichtert einen analytischen Prozess, welcher sich der oftmals unausgeglichenen Interaktion zwischen lokalen, regionalen und globalen Ebenen widmet, dabei hin und her treibt und den großen wie den kleinen Kontext in den Blick nimmt" (S. 820f.). Gut lesbare Geschichtsschreibung klingt anders.Fazit: Hier schreiben Professoren für andere Professoren, auch wenn Rosenberg einleitend erklärt, der Band richte sich auch an "allgemein interessierte Leser". Wenn dieser Leserkreis tatsächlich angesprochen werden soll, dann ist das Buch ein anschaulicher Beleg dafür, welch irrige und nebulöse Vorstellungen die akademische Geschichtswissenschaft davon hat, was historisch interessierte Laien lesen wollen. Für Laien, aber auch für Studierende ist der Band schwer verdauliche Kost. Im Laufe der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, dass es sich bei dieser Buchreihe um ein akademisches und verlegerisches Prestige- und Renommierprojekt handelt, bei dem von vornherein einkalkuliert ist, dass die einzelnen Bände jenseits von Fachkreisen keine nennenswerte Leserschaft finden. Die englischsprachige Ausgabe von "Weltmärkte und Weltkriege" hat seit ihrem Erscheinen Ende 2012 bei Amazon USA erst eine und bei Amazon UK noch keine einzige Kundenrezension erhalten. Das ist ein Indiz für die geringe Resonanz, die das Buch bislang hervorgerufen hat, und sollte den beteiligten Verlagen, Herausgebern und Autoren zu denken geben. (Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im März 2014 bei Amazon gepostet)