»Ein paar Tage am Meer können reichen, um alles in Frage zu stellen. «
Ein abgelegenes Ferienhaus an der französischen Atlantikküste: Hier will Elena mit ihren Kindern drei unbeschwerte Wochen verbringen. Ihr Mann ist zu Hause in Deutschland geblieben, die Ehe läuft nicht gut. Dafür hat Elena die Babysitterin Eve und eine Freundin der dreizehnjährigen Tochter eingeladen. Doch was als entspannte Auszeit beginnt, wird immer stärker bedroht, von außen wie von innen: Die ausgetrockneten Wälder stehen in Flammen, unangekündigte Gäste tauchen auf, Konflikte spitzen sich zu - befeuert von Eifersucht, Misstrauen und Abhängigkeiten. Bis eines der Mädchen plötzlich verschwindet.
Drei Wochen im August ist ein intensives Kammerspiel in der Hitze des Sommers. Alles scheint harmonisch, aber die Abgründe lauern im Idyll. Eine unbedachte Bemerkung, eine falsche Verdächtigung, und das komplexe Beziehungsgeflecht droht zu zerreißen. Davon erzählt Nina Bußmann mit großer psychologischer Klugheit und einem feinen Gespür für Spannung.
Besprechung vom 08.03.2025
Nehmt alles, aber lasst mir die Kinder und meine Gefährtin
Berlins Lastenrädermilieu schüttelt man auch an der Atlantikküste nicht ab: Nina Bussmanns Roman "Drei Wochen im August"
Das Cover schmückt ein Bild der Malerin Susanne Giring, es zeigt zwei Frauen am Pool. Um Kunst geht es tatsächlich in Nina Bussmanns neuem Roman "Drei Wochen im August". Diese Zeit verbringt Elena, eine Frau von 44 Jahren aus Berlin, an der französischen Atlantikküste. Das Ferienhaus gehört der Frau ihrer ältesten Freundin, der Künstlerin Ali. Elena bezeichnet sich als deren "Kuratorin", organisiert aber vor allem Flüge, Katalogtexte und Vernissagen samt Häppchen und Feuerlilien. Mitgenommen hat Elena ihre dreizehnjährige Tochter Linn, deren Freundin Noémi, den siebenjährigen Sohn Rinus und Eve, die Nanny der Kinder, die Elena bezahlt, aber gerne zur Freundin hätte.
Eve hat "diese Einladung nur angenommen, weil es keine Einladung war. Sondern eine Bitte." Der Roman erzählt wechselweise mit den Stimmen der beiden Frauen, die noch mehr verbindet als diese ohnehin schon komplexe Wechselbeziehung aus Abhängigkeit, Selbstbehauptung und Solidarität.
Umkreist werden sie von faktotumartigen Männern. Elenas Mann Kolja werkelt lieber daheim am frisch bezogenen Eigenheim. Trennung liegt in der Luft. Obgleich außer Eve keine weitere Frau in Sicht ist, hat er Elena ein Buch über Polyamorie zur Ferienlektüre verordnet. Die Macht der Bedrohung liegt im Konjunktiv. Das Ferienhaus, in dem Elena bis zu Linns Geburt jahrelang die Sommer mit ihrer Künstlerinnen-Clique verbrachte, riecht nach Schimmel. Im Pool gedeihen Algen, ringsum brennen die ausgedörrten Wälder, und ein undurchsichtiger altersloser Hausmeister geistert durch das Anwesen. Feiernde Jugendliche okkupieren den Strand, ein riesiger Hund taucht auf und verschwindet wieder, und plötzlich steht ein fremder Mann in der Küche. Gefährlich freundlich bietet er den vom Strand zurückkommenden Frauen ihre eigene Wassermelone an, zerteilt mit dem größten Messer der Küche, und die Angst entsteht im Auge der Betrachterinnen: Es gehört zu den Höhepunkten des Romans, wie Elena und Eve in den Küchengeräten plötzlich Waffen erblicken.
Franz, der im Internet keine Spuren hinterlässt, hat eine "Stieftochter" im Teenageralter bei sich - mit rätselhaften blauen Flecken an den Beinen. Statt wie angekündigt eine Nacht zu bleiben, zeckt er sich ein und verspeist frische Austern auf Elenas Rechnung, die ohnehin für alle und alles bezahlt - nicht nur monetär. Doch Elena ist nicht nur Opfer, es zieht sie förmlich zu Gefahren, und ihre Kinder zieht sie mit; in die Waldbrandzone und an den zum Baden gesperrten Bereich des Strandes.
Es sind zweifellos etwas viele Extreme in die Figuren gepackt. Der Autist Rinus erscheint wie die pathologische Fortsetzung väterlichen Ichbezugs, die schweigend in sich hineinfressende Linn radikalisiert Elenas Stimm- und Machtlosigkeit. Die vom berühmten Cellisten-Vater vernachlässigte Noémi erfindet Krankheiten zur Aufmerksamkeitserregung. Auf diese Weise legt die Autorin ein Brennglas auf das alternative urbane Milieu mit seiner unter Kreativindustrie, Coaching, Lasten- und Rennrad beharrlich hervorgrinsenden bürgerlichen Arbeitsteilung, dank derer sich Kolja aussuchen kann, ob er mit den Kindern eisbaden geht oder sich mit dem Totschlagargument "Einer muss ja das Geld verdienen" für Tage bis Wochen in sein Büro ausklinkt. Als Elena am Ende ihre Arbeit verliert, wird er nur lachend fragen: "Welche Arbeit?" Elena ist eine "erschöpfte Frau" (Franziska Schutzbach), an der nicht nur das Wohlergehen der Kinder, sondern der gesamte emotionale Familienhaushalt hängt; zerrissen zwischen Elternabend, Ergotherapie und den Ansprüchen auf eigenes Schaffen.
Den Garten der Villa bevölkern zoomorphe, von Leiko Ikemura inspirierte Keramikskulpturen, unter deren Röcken das Nichts wohnt. Sie zerbröseln zeitgleich mit ihrer auf der anderen Seite der Welt sterbenden kinderlosen Schöpferin. Eve hat eine erwachsene Tochter und einst wie Elena Kunst studiert, ehe sie Lebenskünstlerin wurde. Elena hat neben einer abgebrochenen Reiki-Ausbildung nur ihre beiden Kinder vorzuweisen: Als Linn verschwindet, schließt Elena "einen Pakt mit den Göttinnen: Nehmt mir alles, aber lasst mir meine Kinder und meine Gefährtin. Eve."
Die Erzählkunst des Romans wird im Abspann als "erfunden, aber nicht ausgedacht" definiert. Eve als Gegenüber, Korrektiv, Komplizin und Beschützerin gibt fast nichts preis, während Elena bis zur Schmerzgrenze alles offenlegt. Gemeinsam häufen sie genaueste Beobachtungen oft derselben Dinge und Vorgänge mit schier überbordender Detailfülle in Schichten an, die statt zur Gewissheit ins Sfumato führen. Auf diese Weise gerinnen die teils zerrbildlichen Figurenbeschreibungen nicht zu Schablonen, sondern entfalten mythische Dimensionen. "Helena" und "Eva" evozieren nicht nur Urtypen des abendländischen Weiblichen, sondern auch zwei seiner ältesten Erzählungen: die biblische Herleitung der Kernfamilie und den Kampf um Troja. Nicht zufällig trägt der das Ferienhaus gegen die anrückenden Brände wässernde Hausmeister einen homerischen "Backenbart und dichte Brauen" - und heißt Ilyas.
Es passiert reichlich Irrwitziges in dieser Geschichte, doch die Ereignisse zerlaufen wie Sandburgen unter auslaufenden Wellen. Plotgetriebene Strandlektüre ist "Drei Wochen im August" also kaum, aber gerade das scheinbar Zähe entfaltet einen Sog wie die Brandung des Atlantiks. TINA HARTMANN
Nina Bussmann: "Drei Wochen im August". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. 317 S., geb.
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