Der Roman liest sich nicht mühelos, ist aber durchaus eine lohnenswerte Lektüre.
Der 19jährige Hai lebt mit seiner Mutter in East Gladness, einem heruntergekommenen Ort in Connecticut. Sie sind aus Vietnam geflohen und versuchen seit Jahren, sich ein neues Leben aufzubauen, ziemlich vergeblich. Hai ist seit Jahren tablettensüchtig und bekommt sein Leben nicht in den Griff. Eines Tages steht er wieder einmal auf einer Brücke und denkt über Selbstmord nach. Dabei wird er von Grazina, einer 82jährigen Frau beobachtet, die den Krieg in Litauen überlebt hat. Sie hindert ihn daran, sich umzubringen, und er zieht in ihr heruntergekommenes Haus voller Erinnerungsstücke. Hai wird ihr Pfleger, denn sie wirkt zumindest zeitweise orientierungslos und dement. Im Laufe der Zeit kommen sie sich näher und helfen einander im Alltag. Hai hat schon einmal ein Studium in New York abgebrochen und will seine Mutter nicht noch einmal enttäuschen. Also erzählt er ihr eine Menge Lügengeschichten von seinem angeblichen Medizinstudium. In Wirklichkeit findet er durch seinen zwei Jahre jüngeren Cousin Sony einen Job in einem Diner. Dort müssen sie für wenig Geld hart arbeiten und bleiben für alle Außenstehenden arme Loser, die nie dazugehören werden. Auch Sony bekommt sein Leben nicht auf die Reihe, ist besessen vom amerikanischen Bürgerkrieg und von dem Film Gettysburg, den er sich schon unzählige Male angesehen hat.Ocean Vuongs neuer Roman erzählt in einer sehr poetischen Sprache gesellschaftskritisch mit viel Empathie vom Schicksal der Ausgegrenzten, die es schaffen, durch Freundschaft und Solidarität zu überleben: "Das Leben ist gut, wenn wir einander Gutes tun" (S. 521). Besonders berührend ist die Beziehung von Hai zu Grazina, die er als Sergeant Pepper in gespielten Kriegsszenen immer wieder in der Vergangenheit trifft und dann in die Realität zurückholt. Nicht nur durch eingeschobene Fantasien, sondern auch durch zahlreiche Rückblenden und ständigen Wechsel der Zeitebenen liest sich der Roman nicht mühelos, aber er ist durchaus eine lohnende Lektüre wie schon Vuongs Debüt "Auf Erden sind wir kurz grandios", das ich sehr schätze, auch wenn ich die Vielfalt von Themen, Episoden und individuellen Schicksalen teilweise etwas verworren finde.