Ein Lesehighlight. Leseempfehlung.
Drei Frauen, Piki, Bossa und die Icherzählerin führen eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung. Die Icherzählerin hätte in einem Interview wahrscheinlich wie seinerzeit Lady Di zum Besten gegeben ¿it was a bit crowded¿. Es ist aber nicht Bossa, die ihre innige Liebesbeziehung zu Piki torpediert, sondern etwas anderes, wie so oft lauert der Feind im Inneren des Menschen. Der Kommentar:Es kommt nicht allzu oft vor, dass die Protagonisten eines Romans psychisch kranke Menschen sind. Und dass eine Autorin, die dies geschehen lässt, ihre Protagonisten nicht in ein altbackenes, langweiliges und depressives Setting framt. Dass hier das Gegenteil der Fall ist, genau dafür mag ich ¿Baby Jane¿. Wir befinden uns durchaus in einem anrüchigen Milieu. Aber dürfen wir darüber die Nase rümpfen? Die Menschen in dieser Umgebung versuchen, ihr Leben zu leben - wie überall.Ich begrüße es zudem, dass Sofie Oksanen, in dem schon 2005 in Finnland veröffentlichten Roman einige heiße Eisen anpackt: Lesbische Liebe unter psychisch Kranken ist nicht das heiße Thema ! sondern es ist die psychische Krankheit per se. Piki ist zwangsgestört und hat heftige Panikattacken, die Icherzählerin hat ähnliche Symptome, ist zudem depressiv und antriebslos. Da haben sich ja zwei gefunden, denkt man als Leserin und das ist auch so, denn alsbald wird man von der Autorin nicht nur ins Milieu geführt, sondern auch in absonderliche Geschäftsmodelle und Geschäftspraktiken, denn die Frauen, die nicht mehr in der Lage sind, einer geregelten Tätigkeit außer Haus nachzugehen, verdienen sich ihr Geld mit dem Handel von Sexfetischen. Befremdlich, aber findig. Und lustig! Manchmal fragt man sich jedoch schon, ob die Frauen überhaupt gesund werden wollen. Es ist nicht leicht, aber schließlich haben es schon viele geschafft, sich ihren Ängsten zu stellen. Aber das sagt sich natürlich leicht, wenn man nicht betroffen ist. Ein weiteres heißes Eisen, das die Autorin anpackt, ist Sterbehilfe. Das Ganze ist ein krasses Buch, sowohl vom Inhalt wie auch vom Stil her, ich mag es sehr, einerseits, weil es frisch und frech ist und andererseits weil man nicht recht weiß, ob man der Erzählstimme so richtig trauen darf. Ja, und natürlich, weil wir sehr viel mehr Romane über psychische Beeinträchtigungen brauchen, die nicht Null Acht Fünfzehn sind, sondern fetzig und mit modernem Sound. Eine kleine stilistische Kostprobe: ¿Stundenlang hingen wir am Telefon und träumten so heftig, dass die Hörer ganz zuckrig waren¿. Man darf es freilich nicht übertreiben mit solchen Bildern und Sätzen, sonst geht die Wirkung flöten. Ich fühlte mich super unterhalten und ließ mich ohne Widerstand in die mir fremde Welt hineinziehen. Dass, wie eine Rezensentin, vielleicht zu Recht, bemängelte, kein Hintergrund zu den Protas geliefert wurde, hat mich nicht gestört. Nicht gestört und nicht gefehlt. Der Fokus dieses Romans liegt woanders, auf der lebenszerstörenden Kraft der Krankheit selbst. Doch obwohl der Roman funny Anteile hat, geht Sofi Oksanen nicht leichtfertig mit der schweren Thematik um und zerkalauert es nicht. Sie macht das Thema durch den Funfaktor nicht klein. Nein, im Gegenteil, sie zeigt Empathie, drückt aber nicht auf die Tränendrüse. Die Protagonisten werden auch nicht verklärt. Nur weil man krank ist, heißt das nicht, man ist ein guter Mensch. Allerdings auch nicht das Gegenteil. Ergo: Sofi hat (wieder?) alles richtig gemacht.Fazit: Ein frecher und mutiger Roman. Mehr davon. Kategorie: Anspruchsvoller RomanKiepenheuer & Witsch, 2023