Wow! Kammerspiel, Sozialstudie, drei Frauenleben ¿ fein und pointierte Beobachtungen und mega Spannung
Drei Frauen werden eher unfreiwillig auf einer Luxusyacht zusammengewürfelt. Bankenchef Walter Bronstein lädt seine fast ebenso reichen leitenden Angestellten nebst Gattinnen ein, seine Ehefrau und der erwachsene Sohn reisen ebenfalls mit. Die Geschichte erfahren wir aus der Innenperspektive von Nora und Franziska, später trägt auch Rachel Bronstein zur Geschichte bei. Diese drei Frauenleben fächern sich vor uns auf, Leben im Luxus, aber voller Einschränkungen, die Erwartungen der Ehemänner, Eltern, der Gesellschaft..."Ich hatte immer Hunger. Ich wollte immer ein Eis."Darum steigen Nora und Franziska zunächst auf das Konkurrenzspiel ein, das Walter von ihnen verlangt, der alte reiche weiße Mann. Es entwickelt sich ein Kammerspiel voller Spannung.Diese drei Ich-Perspektiven haben es in sich, sie beobachten präzise, demaskieren diese Gesellschaft bis ins Mark, legen (Selbst-)Lügen frei. Die drei kommen da beileibe nicht immer sympathisch rüber, aber wie oft dürfen Frauen in Geschichten schon moralisch grau handeln, ohne dafür gleich moralisch verurteilt zu werden? Die drei wachsen mir trotz ihrer Ambivalenz irgendwie doch ans Herz.Das liegt auch an der grandiosen Lesung von Sandra Voss, deren scharfen Bewertungen, süffisantem Ton und zarter Verletzlichkeit ich sehr gerne zugehört habe. Da die Lesung ungekürzt eingesprochen wurde, poste ich meine Rezension auch beim Buch.Alle sieben Figuren sind Gefangene von Kapitalismus und Patriarchat, auch, wenn die Männer (wie immer) ungleich mehr profitieren, obwohl die drei Frauen viel klüger sind.Content Note / CN:Da gibt es ein paar Sachen, die das Toxische des Patriarchats zeigen (wie sollte es anders sein), dazu auch noch Gewalt. Nichts ist explizit, aber in dem Fall würde genaueres spoilern.Ab der Mitte konnte ich ganz gut abschätzen, was dann geschehen wird, aber trotzdem blieb die Lust am Zugucken, WIE genau das vonstatten gehen wird. Am Ende entsteht etwas ganz Wunderbares, etwas, das unsere Welt viel mehr brauchen würde:Weibliche Solidarität.Einzige Kritik, die ich vielleicht haben könnte: Dieses feministische Empowerment findet in einer reichen, weißen Welt statt. Woanders würde dieses Empowerment nicht funktionieren, aber für mich funktioniert es als Eskapismus - und Freytag denkt in der Schilderung der Angestellten durchaus andere Marginalisierungsmerkmale mit. Der Roman hört/liest sich in vieler Hinsicht leicht. Schon allein wegen des Settings auf einem Boot ist es eine tolle Unterhaltung mit viel Spannung. Gleichzeitig liefert Anne Freytag so viel Tiefe, dass ich "Blaues Wunder" wirklich komplett empfehlen kann. 5 von 5 Sternen.