
Deutscher Buchpreis 2025
Dorothee Elmigers bildgewaltiger Roman - eine mitreißende Erfahrung. Wer diesen Text betritt, fällt in den Abgrund unserer Welt und blickt mit aufgerissenen Augen in die Finsternis. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2025, nominiert für den Schweizer Buchpreis und den Bayerischen Buchpreis 2025.
Mit blinkenden Warnlichtern fährt die Erzählerin, eine namenlose Schriftstellerin, an den Straßenrand, als ein unerwarteter Anruf sie erreicht. Am Apparat ist ein gefeierter Theatermacher, der sie für sein neuestes Vorhaben zu gewinnen versucht - ein in den Tropen angesiedeltes Stück, die Rekonstruktion eines Falls. Wenige Wochen später bricht sie auf, um sich der Theatergruppe auf ihrem Gang ins tiefe Innere des Urwalds anzuschließen. Dorothee Elmiger erzählt eine beunruhigende Geschichte von Menschen und Monstren, von Furcht und Gewalt, von der Verlorenheit im Universum und vom Versagen der Erzählungen.
Besprechung vom 23.10.2025
Von einem Heidenspaß bei steter Traurigkeit
Heute erscheint "Asterix in Lusitanien", ein sicherer Millionen-Verkaufserfolg. Der Band erzählt von einem antiken Globalisierungskonflikt. Eine Reise mit dem Comic-Autor Fabcaro an die Schauplätze und Gespräche über die Globalisierungseffekte auf "Asterix"
Von Andreas Platthaus, Lissabon
Wer Fabrice Caro trifft, mit dem geht es hoch hinaus. Einmal ganz buchstäblich verstanden, nämlich auf eine Steilküste am Atlantik oder die Aussichtsplattform des Arco da Rua Augusto, jenes Triumphbogens, der das Zentrum der portugiesischen Hauptstadt Lissabon zum Meer hin öffnet. Und dann geht es auch metaphorisch hoch hinaus, denn der 1973 geborene französische Comic-Autor, der unter dem Künstlernamen Fabcaro arbeitet, erlebt seit zehn Jahren einen Karriere-Höhenflug sondergleichen. 2015 erschien "Zaï zaï zaï zaï", ein Band, in dem Fabcaro mit aberwitzigem Humor von einem Comiczeichner erzählte, der ohne Kundenkarte in einem Supermarkt einkaufen will. Diese (anfangs) eher unspektakulär daherkommende Geschichte verkaufte sich in Frankreich hunderttausendfach und erreichte mit einer Film- und mehreren Theater-Adaptionen ein noch viel größeres Publikum.
Doch das ist gar nichts gegen Fabcaros aktuelle Arbeit. Er hat das neue "Asterix"-Album geschrieben, "Asterix in Lusitanien", das heute in den Handel kommt, in Bilder gesetzt von Didier Conrad, der als Zeichner schon 2013 die Nachfolge von Albert Uderzo, einem der beiden Väter von "Asterix", angetreten hat. Der andere Vater war René Goscinny, bis zu seinem frühen Tod 1977 verantwortlich für die Geschichten. Ihm folgten als Szenaristen Uderzo selbst und Jean-Yves Ferri - beide enttäuschten die Erwartungen der durch Goscinnys immensen Witz verwöhnten Leser. Deshalb wurde vor zwei Jahren für das Album "Die weiße Iris" Fabcaro als Texter angeheuert - prompt wurde es der bestverkaufte "Asterix" seit mehr als zwanzig Jahren. Der Nachfolgeband des neuen Traumgespanns Fabcaro/Conrad kommt gleich mit weltweit fünf Millionen Exemplaren in den Verkauf, davon allein anderthalb Millionen in Deutschland.
Alle zwei Jahre rettet das jeweils neue "Asterix"-Album die Jahresendbilanz des deutschen Buchhandels - zuverlässiger als jeder Gewinnerroman des Deutschen Buchpreises (zumal, wenn der aktuelle, Dorothee Elmigers "Die Holländerinnen", gerade wieder einmal nicht lieferbar ist, während die 1,5 Millionen "Asterix"-Alben unter Verschluss schon seit Wochen auf den Erstverkaufstag gewartet haben). Meistverkaufter Titel des jeweiligen Erscheinungsjahres in Frankreich ist ein aktueller "Asterix" selbstverständlich auch - da mag den Prix Goncourt gewinnen, wer will. Und eigentlich ist es auch egal, wer den Band geschrieben hat, denn beim Handlungsgerüst von "Asterix" gibt es genauso wenig Überraschungen. Die seit 1959 geltende Erfolgsformel ist in mittlerweile mehr als vierzig Abenteuern so unverändert geblieben wie der Handlungszeitraum um das Jahr 50 vor Christus: Aus einem kleinen gallischen Dorf heraus wird Widerstand gegen das römische Weltreich geleistet, und am Ende sitzen alle Gallier beim nächtlichen Festmahl zusammen und feiern mit Wildschwein und Cervisia ihren jüngsten Erfolg.
Trotzdem wird um jeden neuen "Asterix" ein Riesengeheimnis gemacht. Außer dem Titel des neuen Albums war bis zu dessen heutigem Verkaufsstart so gut wie nichts bekannt, und so steht Fabcaro an diesem Herbsttag neben der Tatze eines riesigen Marmorlöwen auf der Porta de Rua Augusto und zieht für die Kamera "Asterix in Lusitanien" unter der Jacke hervor. Die linkischen Verrenkungen, die das in der Folge erfordert, sind sehenswert, denn außer der kleinen Reisegruppe um Fabcaro ist die Aussichtsplattform voller Touristen, und von denen darf niemand den Band sehen - sein Veröffentlichungsdatum liegt zum Zeitpunkt unseres Besuchs in Lissabon noch in der Zukunft.
Unten in der Innenstadt, die nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 in barock-symmetrischer Idealgestalt wiederaufgebaut wurde, hängt in einem Schaufenster eine große Informationstafel zur antiken Hafenstadt Olisipo, wie Lissabon zur Römerzeit hieß. An ihr kam Fabcaro im Mai 2024 vorbei, als er für "Asterix in Lusitanien" recherchierte, und nach der vom Szenaristen von der Tafel abfotografierten Rekonstruktionszeichnung des ursprünglichen Stadtbildes hat dann Conrad jene Panoramaansicht angefertigt, die sich Asterix und Obelix bietet, als sie auf Seite 18 endlich den zu ihrer Zeit größten Hafen des römischen Imperiums erreichen.
Wir sind ihnen nachgereist, um gemeinsam mit Fabcaro einige Schauplätze von "Asterix in Lusitanien" aufzusuchen. Lusitanien ist der antike Name von Portugal, wie jeder Asterix-Kenner weiß (ganze Schülergenerationen verdanken mittlerweile ihre Grundkenntnisse in Alter Geschichte dieser Serie), und Lusitanier traten auch schon einmal als Akteure bei "Asterix" auf: im Band "Die Trabantenstadt" von 1974. Darin wurden aus dem ganzen Römischen Reich Sklaven nach Gallien geschickt, um dort eine Stadt errichten zu lassen, und ein seinerzeit noch namenloser Portugiese kommt nun zu Beginn von "Asterix in Lusitanien" hilfesuchend ins gallische Dorf, um seine früheren Retter um abermaligen Beistand zu bitten. Schnurres heißt dieser Hilfesuchende, sein Freund Schåoprozes ist daheim arretiert worden, weil er als kleiner Produzent von Garum, einer für die Lebensmittelversorgung Roms besonders wichtigen unverderblichen Fischpaste, dem etablierten Großproduzenten Croesus Lupus in die Quere gekommen ist. Asterix und Obelix machen sich sofort per Boot auf in Schnurres' und Schåoprozes' Heimatdorf Miesinmåomåo.
Wie man den Namen ablesen kann, hat Klaus Jöken, der deutsche Übersetzer von "Asterix", wieder viel Arbeit gehabt. Gegenüber dem bisherigen Durchschnitt weist der neue Band 25 Prozent mehr Wortspiele und verballhornende Eigennamen auf, wie der französische Verlag Hachette ausgezählt hat. Die portugiesische Sprache wird durch konsequenten Gebrauch, pardon: "Gebråoch" der Schreibweise "åo" statt "au" versinnbildlicht. Allerdings sind einige Eindeutschungen wieder einmal zu schenkelklopfend geraten: siehe das bajuwarisch inspirierte Miesinmåomåo statt des im französischen Original verwendeten Ortsnamens Nulohouno (als Variation von "Null zu Eins").
Das Vorbild für die Ansicht dieses Küstendorfs suchen wir mit Fabcaro im Bus auf: Eine Stunde dauert die Fahrt von Lissabon nach Azenhas do Mar, einen Ort hoch oben auf einer Klippe über dem Atlantik. Hier, vor der Kulisse einer antikisierten Ansicht des pittoresken Küstendorfs, betreten Asterix und Obelix nach der Überfahrt von Gallien erstmals portugiesischen Boden - "bewusst in einem kleinen Dorf", wie Fabcaro betont, "denn mir geht es in der Geschichte um den Kontrast zwischen lokalen Traditionen und der Globalisierung, wie sie sich in einem Hafen wie Olisipo schon im Römischen Reich zeigte".
Céleste Surugue, seines Zeichens beim französischen Großverlag Hachette verantwortlich für alle "Asterix"-Aktivitäten, war begeistert, als Fabcaro ihm von dieser Idee erzählte: "Asterix", so sagt er, sei am erfolgreichsten in Ländern, die angesichts der Globalisierung auf ihrer Eigenständigkeit beharrten. Soll wohl meinen: gegen die englischsprachige Welt. Tatsächlich ist "Asterix" dort weniger populär als in Deutschland oder den romanischen Ländern. Was aber nicht verhindern konnte, dass Fabcaro auf "Anregung" des Verlags eine Figur aus der Stammbesetzung von "Asterix" verändert hat: Zu viele Debatten habe es um sie in Amerika gegeben, erläutert Surugue, und das - so darf man wohl ergänzen - will sich Hachette nicht leisten, wo doch gerade eine fünfteilige "Asterix"-Trickfilmserie erfolgreich bei Netflix (kein gallischer Krieger!) lief. So ist der schwarzhäutige Ausguck des in fast jedem Abenteuer zuverlässig versenkten Piratenschiffs neuerdings nicht nur seinen Sprachfehler (die Unfähigkeit, ein "R" auszusprechen) losgeworden, sondern auch das krause Haar und die Wulstlippen: Fabcaro, der die Veränderung der altvertrauten Figur explizit bedauert, ist aber immerhin offensiv damit umgegangen. Und ironisch: So wundern sich die Spießgesellen auf dem Piratenschiff: "Spricht der auf einmal das 'R'?" - "O tempora, o mores . . ."
Zeitgeist ist somit weiterhin eher beliebter Gegenstand des Spotts in "Asterix" als Vorbild. So etwa der Managementjargon, der Asterix und Obelix in einem Verkaufsseminar vermittelt werden soll, das in der Unternehmenszentrale von Croesus Lupus abgehalten wird. Diesen skrupellosen Unternehmer kennt man übrigens: Er trat schon vor acht Jahren als Garum-Produzent in "Asterix in Italien" auf - als überdeutliche Karikatur von Silvio Berlusconi. Da Fabcaro bei seinen Recherchen auf die Wichtigkeit des Garum-Exports fürs antike Lusitanien gestoßen war, nahm er auch die als Antagonisten bereits etablierte Unternehmerfigur wieder auf - sehr zum Leidwesen Conrads, der laut seinem Szenaristen kein Faible fürs Karikieren realer Persönlichkeiten haben soll.
Man will es nicht recht glauben, denn im neuen Album leiht der britische Komiker Ricky Gervais dem römischen Zenturio Pistorius (so benannt natürlich nur in der deutschen Version) seine Züge, und im über Lusitanien herrschenden Präfekten Fetterbonus kann man einiges von Donald Trump erkennen. Eine Superreichen-Feier auf der Luxusgaleere von Croesus Lupus, zu der neben Fetterbonus auch so illustre Gestalten wie Elonmus oder Marcus Zuckerguss begrüßt werden können, ist zudem deutlich nach dem Muster der berüchtigt-ausschweifenden Partys von Jeffrey Epstein gezeichnet.
Gegen all diese skrupellosen Geschäftemacher von außerhalb stehen Asterix und Obelix den unterdrückten Portugiesen bei, die durch eine tief empfundene Melancholie charakterisiert sind. Ausgangspunkt ihrer weltbekannten saudade war laut Schnurres der Verrat an Viriato, dem (historisch realen) Führer des lusitanischen Abwehrkampfs gegen die römischen Invasoren, also dem portugiesischen Äquivalent zu Vercingetorix, der in Gallien diese Rolle innehatte und genauso scheiterte. Immer wieder wird im Comicband die aus dem früheren Verrat resultierende spezifisch portugiesische Traurigkeit als eine Waffe eingesetzt, mit der man auch den Gegner deprimiert - und so geht sie mit der gallischen Unbekümmertheit ein unschlagbares Bündnis ein. Allerdings bringen Asterix und Obelix ihren lusitanischen Freunden am Schluss Ausgelassenheit bei: Der zuvor ständig angestimmte Fado wird ergänzt um den französischen Gassenhauer "La Chenille" (der in der deutschen Fassung seine Entsprechung in der "Polonaise Blankenese" findet).
Es geht also gut aus, aber damit verrät man ja kein Geheimnis. Schon eher damit, dass Fabcaro seine Geschichte bereits komplett geschrieben hatte, als er vor einem Jahr nach Portugal fuhr - um in gerade einmal drei Tagen die von ihm vorher per Internet ausgesuchten Handlungsorte zu besichtigen. Das führte immerhin dazu, dass er beschloss, für die lusitanische Landpartie seiner Helden nach Lissabon zwei Seiten mehr einzuplanen, denn wie ihm bei der Fahrt nach Azenhas do Mar klar wurde, ist diese Wegstrecke in der Antike mittels Kutschfahrt nur in mehreren Tagen zu bewältigen gewesen. So viel Authentizität muss bei "Asterix" schon sein. Welche beiden anderen Seiten dafür aus dem ursprünglichen Szenario entfallen sind, darüber spricht Fabcaro nicht.
Denn ein "Asterix"-Abenteuer hat nun einmal nicht mehr als 44 Seiten, und es wechseln sich jeweils im Dorf angesiedelte Geschichten ab mit solchen, die die Gallier in die weite Welt hinaus führen - village, voyage lautet die französische Zauberformel dieses Dualismus. Fabcaro begann mit "Die weiße Iris" im Dorf, und das war ihm lieb, denn das Album, mit dem er als Siebenjähriger zu "Asterix" gefunden hat, war "Der große Graben", eines jener gallischen Heimspiele, zugleich der erste Band, den Uderzo nach Goscinnys Tod selbst schrieb - was immerhin beweist, dass tiefe Liebe auch über flache Geschichten entstehen kann. Und dann trat Fabcaros Mutter auf den Plan, die ihrem Sprössling alle alten Alben beschaffte. Die ihm zu so etwas wie eine Bibel wurden.
Im neuen kann man inhaltliche Elemente von "Asterix auf Korsika" wiederfinden (besonders beim Titelbild), so wie in "Die weiße Iris" schon einiges aus dem Band "Der Seher" vertraut war. Aber das verschlägt nichts, denn was Fabcaro auszeichnet, ist seine satirische Erzählader. Und eine Detailfreude, die man etwa daran erkennen kann, dass zweimal in Lissabon ein kleiner Junge ganz klein am Rand einem Fußball hinterherjagt - auf seinem roten Trikot die römische Ziffer VII. Oder die Idee, die Auswirkungen der Globalisierung auf die lokale Wirtschaft dadurch zu zeigen, dass alle portugiesischen Geschäfte nur Kacheln oder Kabeljau anbieten. Wobei sich da dann doch die Kürze der Recherchereise gerächt hat, denn als wir mit Fabcaro in ein erst vor wenigen Jahren unter einem Lissaboner Bankhaus in der Rua dos Correeiros zugänglich gemachtes römisches Gebäude mit Steintrögen zur Fischverarbeitung hinabsteigen, erläutert die Führerin, dass von Kabeljaufang in Portugal erst seit der Frühen Neuzeit die Rede sein kann. Vorher machte man hier ausschließlich in Sardinen.
Aber daran, dass mit konserviertem portugiesischen Fisch das ganze Römische Reich beliefert wurde, ändert das nichts. Und daran, dass "Asterix in Lusitanien" ein guter Band geworden ist, auch nicht. Obwohl er selbst unter den Bedingungen der Globalisierung entstanden ist und vermarktet wird.
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