
Besprechung vom 06.10.2025
Ihr erster Mord in Dänemark
Jussi Adler-Olsen setzt seine Erfolgsreihe um den Ermittler Carl Mørck fort - mithilfe zweier Kolleginnen
Seit der Fernsehserie "Columbo" spielen Krimis immer wieder mit der Idee, das klassische Erzählformat umzudrehen, Täter also gleich zu Beginn als solche zu zeigen und die Spannung über die Ermittlungen und das langsame Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Mörder zu erzeugen. An dieser Form versucht sich auch "Tote Seelen singen nicht", der neueste Band um die Ermittler des Kopenhagener Sonderdezernats Q, das sich mit ungelösten Fällen herumschlägt, die andere Abteilungen längst zu den Akten gelegt haben.
Die Geschichte fängt mit einer Demütigung an: Im November 1989 verpassen vier Jungen eines Elite-Chors einem Wunderschüler eine Abreibung. Sie binden ihn nackt in der Winternacht an einen Baum und werfen ihn später in einen eiskalten Tümpel. Der Junge überlebt die Tortur und schwört Rache. Motiv und Hauptverdächtiger für alles, was danach geschieht, stehen also von Anfang an fest. Spannung muss nun über die Ermittlerfiguren generiert werden. Und bei denen gibt es im Gegensatz zu den Vorgängerbüchern der Reihe so einige Neuerungen.
Denn ursprünglich hatte der dänische Autor Jussi Adler-Olsen seine weltweit erfolgreiche und mehrfach verfilmte Krimireihe (zuletzt unter dem Titel "Dept. Q" für Netflix) um Kommissar Carl Mørck auf zehn Romane angelegt. Dieses selbst gesteckte Ziel hatte der Autor 2023 mit "Verraten" erreicht. Im Februar 2025 machte er zudem seine unheilbare Krebserkrankung öffentlich. Die Zukunft für sein literarisches Erbe bereitet er nun selbst mit vor, inklusive Verlagswechsel.
Für "Tote Seelen singen nicht" hat er sich mit dem dänischen Autorenduo Line Holm und Stine Bolther zusammengeschlossen, die das gemeinsame Schreiben bereits für ihre Thrillerreihe um die Kriminalhistorikerin Maria Just erprobten. Wie Adler-Olsen haben auch Holm und Bolther Erfahrung im Journalismus gesammelt, beide waren lange als Kriminalreporterinnen unterwegs, kennen Mordermittlungen also auch aus der Realität.
Um den Staffelstab weiterzureichen, lässt Adler-Olsen nun seinen Kommissar Mørck in den Hintergrund treten. Statt der eingespielten Konstellation bekommt das Team im Keller der Kopenhagener Ermittlungsbehörde eine neue Vorgesetzte. Helena Henry hat sich aus Lyon in die dänische Hauptstadt versetzen lassen. Die Expertin für organisierte Kriminalität wollte eigentlich auch an ihrem neuen Arbeitsplatz in ihrem Fachgebiet arbeiten, landet aber erst einmal "zur Eingewöhnung" bei der Kellertruppe. Wie abgebrüht sie drauf ist, erfahren die neuen Kollegen, als man sie fragt, ob das Opfer eines Mordfalls ihre erste Leiche sei. "In Dänemark? Ja", antwortet sie schlagfertig. Der Syrer Assad ist von der Neuen begeistert, auch wenn er den alten Zeiten unter Mørck nachtrauert und selbst "dessen allmorgendliche schlechte Laune" vermisst. Den übellaunigen Part übernimmt dafür die schrullige Rose, die beim Anblick von Helena Henry noch mehr Missmut als üblich packt, wittert sie doch, dass etwas mit deren Versetzungsgeschichte nicht stimmen kann.
Mørck hat der Abteilung und dem Polizeidienst drei Jahre zuvor nach zahllosen Enttäuschungen den Rücken gekehrt und schlägt sich nun als Schriftsteller durch, der seine früheren Erlebnisse als Ermittler aufschreibt. Bei einer Lesung übergibt ihm eine Frau, die er erst für einen schüchternen Fan hält, die Aufnahme eines alten Anrufbeantworters. Darauf ist der Hilferuf eines Seniorenpaares zu hören, das von einer dritten Person bedrängt wird. Das Team der Sonderermittlungsabteilung rollt den Fall wieder auf und muss schon bald feststellen, dass er in Verbindung mit einem explodierten Trawler vor der Küste Jütlands, einem Anschlag auf eine Schönheitsklinik und einem durch Trunkenheit am Steuer in Ungnade gefallenen Politiker steht.
Wie der frühere Elite-Chor in all das hineinspielt, wird nach und nach enthüllt. Die Kapitel wechseln zwischen den verschiedenen Figuren, was das Schreiben im Dreierteam wahrscheinlich erleichterte. Mal folgen wir Rose, mal Assad, mal Helena. Aber auch die potentiellen Opfer und sogar Nebenfiguren treten mitunter in den Mittelpunkt eines Kapitels, sodass man bei jeder neu eingeführten Figur nie weiß, wie lange sie überlebt. Auch das ein altbewährter Spannungstrick von Bestsellerautoren - kurze Kapitel mit Figuren- und Ortswechseln erhöhen die Cliffhangerdichte.
Davon abgesehen bleibt das Autorentrio bei seinen sprachlichen Routinen und geht keine stilistischen Risiken ein. Kleine Wortspielereien überlassen sie den beiden Nicht-Muttersprachler-Figuren, denen die Ausdrucksweise immer mal wieder verrutscht. So fragt Helena etwa einen Zeugen: "Sie haben ihn abgefeuert?" Und muss sich von ihrem syrischen Kollegen korrigieren lassen: "Das hat nichts mit einer Pistole zu tun, Helena. Richtig muss es 'Sie haben ihn fristlos gefeuert' heißen."
Jussi Adler-Olsen bereitet mit "Tote Seelen singen nicht" das Fortbestehen seiner Erfolgsreihe solide vor. Mit Holm und Bolther hat er zwei Schwestern im Geiste gefunden, die dem Projekt gewachsen sind. MARIA WIESNER
Jussi Adler-Olsen, Line Holm, Stine Bolther: "Tote Seelen singen nicht". Thriller.
Aus dem Dänischen von Friederike Buchinger.
Penguin Verlag, München 2025. 560 S., geb.
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