Fünf Jahre ist es her, dass ich Ocean Vuongs Debüt "On Earth We're Briefly Gorgeous" gelesen habe. Damals begegnete einem dieser Roman überall, doch zu den ganz großen Fans habe ich nicht gehört. Es war eins dieser Bücher, von denen mir schon nach kurzer Zeit nichts mehr im Gedächtnis geblieben ist, aber immerhin habe ich damals solide vier Sterne vergeben. Auf dieser Grundlage hatte ich an Vuongs zweiten Roman "Der Kaiser der Freude" keine übertriebenen Erwartungen, ging aber schon davon aus, ihn zu mögen.Und so ganz falsch war diese Annahme auch nicht, Vuong macht vieles richtig. Es hat etwas Anrührendes, wie er seine Figuren am Rand der Gesellschaft sucht, und sie mit so vielen Spleens und Eigenheiten ausstattet, dass sie einfach liebenswert sind. Wie der junge Hai, den seine Mutter beim Medizinstudium wähnt, sich stattdessen nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik mit suizidalen Gedanken trägt, dann aber von der dementen Immigrantin Grazina aufgenommen und eine Art Pfleger für sie wird, das ist durchaus eine vielversprechende Ausgangslage. Die muntere Schar von Hais Kollegen im Imbiss, in dem er einen Job ergattert hat, kann man fast als ein Vergnügen bezeichnen. Und auch die Wahl der bevorzugten Themen unseres Autors - Armut, Sucht, Suizidgedanken, Krankheit, Homosexualität, Migration - macht seine Erzählung wieder interessant und lesenswert. Zumal er sie seinen Lesern nie unter die Nase reibt, sondern genug Raum für eigene Erkenntnisse und Gedanken lässt.Und trotzdem habe ich mich für dieses Werk nicht voll und ganz erwärmen können. Was meiner Meinung nach daran liegt, dass vieles einfach zu viel ist. Vuongs Figuren sind alle so originell, dass es schon wieder gewöhnlich, fast langweilig ist, und sie an Individualität verlieren lässt. Dasselbe gilt für die Ereignisse, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren und einen Hauch von Melodramatik annehmen. Und Vuongs Sprache - und man merkt, dass er Sprache liebt und aus dem Vollen schöpft - überschreitet für mein Empfinden des Öfteren die Grenzen der Bescheidenheit und wirkt schon fast schwülstig.Auch Fabian Busch als Sprecher der Hörbuchversion stehe ich ein wenig zwiegespalten gegenüber. Ich mag seine Stimme und vieles hat er gut gemacht, mich auch zum Lachen gebracht. Aber die Interpretationen einiger Charaktere hat so gar nicht mit meinen Vorstellungen übereingestimmt, hat sie dümmer oder lächerlicher klingen lassen, als ich als fair empfunden habe. Was natürlich immer das Risiko bei Hörbüchern ist und ja auch das großartige an Büchern, dass jeder seine eigene Version liest.Um noch eine letzte Quengelei der privaten Ebene anzubringen: Die Schlachthof-Szene fand ich eine extreme Zumutung. Ich weiß nicht, welcher Lebensweise Vuong in Ernährungsfragen folgt, eine Frage, die vielleicht klären könnte, was er mit diesem sich ewig hinziehendem Grauen erreichen wollte, aber so oder so hätte ich unbedingt drauf verzichten können.Und trotzdem sind es wieder vier Sterne geworden. Warum? Weil mir, bei allem, was mir zu übertrieben war, die Grundideen und -strukturen gut gefallen haben. Weil Vuong eine Leidenschaft für seine Inhalte ausstrahlt, die durchaus etwas Ansteckendes hat. Weil er vom Leben erzählt, wie es ist, und nicht, wie man es gerne hättet. Und weil dieser Roman für mich die Botschaft enthält, dass zwar jeder von uns in seinen Funktionen ersetzbar ist, aber niemals in seiner Ganzheit als Individuum.