Besprechung vom 23.07.2025
Dass die Hölle hier ist vielleicht
Teuflisch gut: In seinem Roman "Die Schule der Nacht" erzählt Karl Ove Knausgård die Geschichte eines Fotografen, der als "Porträtist des Todes" zu Weltruhm gelangt.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis in der jüngsten, durch den "Morgenstern" eingeleiteten Knausgård-Reihe um Tod und Teufel und die Grenzen der Wirklichkeit auch ein faustischer Pakt auftauchen würde. Mit der "Schule der Nacht" ist es so weit. Der Ich-Erzähler, diesmal nur ein einzelner, der als Erläuterung für seinen geplanten Freitod auf eine Fotografen-Karriere zurückblickt, ist allerdings kein Sympathieträger. Er ist als junger Mann nicht übermäßig begabt und will trotzdem genialischer Großkünstler werden.
Und macht abstoßende Sachen. Unbekümmert fotografiert er zum Beispiel das Bett, in dem seine Schwester soeben Selbstmord zu begehen versuchte. Oder er besorgt sich einen Katzenkadaver, um ihn tagelang in seinem Apartment zu kochen, an der Haut zu zerren und gespenstische Fotos von der Fratze zu machen, die dabei entsteht. Provokationen dieser Art lassen diesen Kristian Hadeland bald zu Weltruhm aufsteigen.
Es wäre verlockend, in der Rücksichtslosigkeit dieses Mannes eine Anspielung auf die autobiographischen Werke zu sehen, die Knausgård berühmt gemacht haben. Davor muss man sich hüten. Es geht in der "Schule der Nacht" sehr viel weiter gefasst um Kunst und Künstler, auch wenn der Autor das Verhältnis zwischen Leben und Literatur im Nachwort als "porös und osmotisch" bezeichnet wird. Er betont: "Als Person hat Kristian Hadeland keine Wurzeln in der Wirklichkeit."
Die packenden ersten Bände der Reihe drehten sich um einen neuen Stern, der eines Tages am Himmel auftaucht, bestialisch ermordete Mitglieder einer Death-Metal-Band und eine Gesellschaft, der in dieser apokalyptischen Stimmung das Sterben abhandenkommt. Der Mann namens Kristian Hadeland tauchte in ihnen nur nebenher auf. Er wurde im "Morgenstern" beerdigt und ward danach trotzdem wieder gesehen, und auch im "Dritten Königreich" hat er einen kurzen Auftritt.
Jetzt schlägt seine Stunde, sogar ausdrücklich: "Die Uhr wird schlagen" ist der Band überschrieben. Die Handlung abseits der Rahmenhandlung spielt größtenteils in den Achtzigerjahren: Der junge Norweger Hadeland gelangt nach England, um Fotografie zu studieren, er sucht und findet seinen eigenen Stil, bandelt mit Frauen an und nimmt Unglücke zur Kenntnis wie die Explosion der Raumfähre Challenger ("Das Bild war sehr schön") oder den Atomunfall im fernen Tschernobyl (der im zweiten Band, "Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit", vorkommt). In den letzten Kapiteln erleben wir ihn dann als etablierten Künstler mit Retrospektive im MoMA New York und als Familienvater. Es ist eine Geschichte von Aufstieg und Fall.
Häufig in ihrem Hintergrund, wenn auch auffallend flüchtig: der Holländer Hans. Er ist etwas älter als Kristian und macht gruselige Experimente, als er dem Norweger 1985 erstmals begegnet. Schnell wird er von einer Kneipenbekanntschaft zum Impulsgeber des geltungssüchtigen Studenten der Fotografie, und das Gefühl, dass dieser Hans ein Mephisto sein könnte, breitet sich aus.
Die von Knausgård eingeflochten Hinweise auf die Möglichkeit eines Pakts zwischen den beiden sind nicht gerade subtil. Viele Seiten drehen sich um den englischen Dramatiker Christopher Marlowe, der einst in London lebte, zu den Freidenkern der "School of Night" um Walter Raleigh gehört haben soll und von manchen Leuten sogar für den Mann gehalten wird, der die Dramen Shakespeares verfasste - nach einem fingierten Tod.
Kurz vor diesem Tod im Jahr 1593 schrieb Marlow "Die tragische Geschichte vom Doktor Faustus". Wir erleben sogar einige Dialoge des Stücks, weil Kristian von einer lüsternen Theaterfrau zu Proben einer modernen Inszenierung geladen wird und sich ausgerechnet jenen Gedanken merkt, der dem Leser schon in den Vorgängerbänden in den Sinn kam: "dass die Hölle hier ist vielleicht."
Auch in den Tübinger Poetikvorlesungen von Karl Ove Knausgård ("Der Roman ist die Form des Teufels") tauchte dieser Gedanke schon auf. Dort sagte Knausgård zum aktuellen Projekt: "Mich hat vor allem eine gnostische Vorstellung nicht losgelassen, dass Gott, wie wir ihn kennen, der Jahve des Alten Testaments, in Wahrheit der Teufel ist, und die Welt, in der wir leben, folglich die Hölle sein muss. Ist das nicht eine fantastische Vorstellung?" Es würde zugegebenermaßen einige schlimme Dinge erklären.
Der junge Fotograf in London gibt sich unter dem Einfluss des Holländers jedenfalls zusehends der Faszination für das Okkulte hin. Selbst auf der Langzeitbelichtung vom "Boulevard du Temple", die Louis Daguerre 1838 aufnahm, meint er, bald den Teufel zu sehen - ein "Geschöpf", das "außerhalb der Zeit steht".
Der Leser gelangt mit ihm an die Kante des Fassbaren. Die viel beschworene Sogwirkung der knausgårdschen Sprache, die in der "Morgenstern"-Reihe ohnehin nicht so ausgeprägt ist wie in seinen autobiographischen Romanen, fällt in der "Schule der Nacht" schwächer aus als erwartet. Es dürfte einerseits daran liegen, dass auch der Autor mit der Hauptfigur fremdelt. Andererseits an der Handlung, die durch die Rahmengeschichte einen klaren Fluchtpunkt besitzt und das gewohnte Dahintreibenlassen nur bedingt zulässt. Den eingestreuten kulturellen Referenzen, von Cornelius Agrippa über "Auerbachs Keller" und Strindbergs Interesse am Okkulten bis zum Teufelsanbeter Aleister Crowley und musikalischen Kosmos der Achtzigerjahre, geht das Assoziative und Beiläufige früherer Knausgård-Romane unter diesen Bedingungen ebenfalls ab.
Man kann es aber auch so formulieren: "Die Schule der Nacht" ist straff komponiert und für knausgårdsche Verhältnisse regelrecht spannend. Es gibt einen Tod, für den Kristian Hadeland verantwortlich gemacht werden könnte (im Hinterkopf den Ritualmord aus den Vorgängerbänden), und die Frage nach dem Preis, den Hadeland für seinen Ruhm als "Porträtist des Todes" zu entrichten hat, treibt einem fulminanten Finale entgegen. In dem Knausgårds Mephisto seinem Faust einen Spiegel vorhält. MATTHIAS HANNEMANN
Karl Ove Knausgård: "Die Schule der Nacht". Roman.
Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand Literaturverlag,
München 2025.
672 S., geb.
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