Lügen über meine Mutter

Ein schonungsloser, schmerzhafter und wahnsinnig berührender Roman! "Lügen über meine Mutter" von Daniela Dröscher lag schon seit etwa 3 Jahren auf meinem SuB und irgendwie war nie der richtige Moment für den Roman. Jetzt aber! Ich habe mich für die Hörbuchfassung entschieden, die sehr einfühlsam und mitreißend von Sandra Voss gelesen wird. Einerseits lag es vielleicht an der guten Lesung, andererseits aber einfach auch an der Handlung, dass mich der Roman von Anfang an gecatcht hat. Im Mittelpunkt der Geschichte steht dabei Ich-Erzählerin Ela, die von ihrem Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familie berichtet - aus der Sicht eines ca. 6-jährigen Kindes wird geschildert, wie der Vater Elas Mutter kontinuierlich für ihr Gewicht tadelt, ihr Diätpläne diktiert und gleichzeitig von ihrem aufopferungsvollen Kümmern um Kind, Haus und Familie profitiert.Es macht wütend, zu lesen bzw. zu hören, was für ein schädliches Verhältnis die kleine Ela selbst zu ihrem Körper entwickelt und wie sie durch das ständige Triezen beginnt, die geliebte Mutter mit den Augen ihres Vaters zu sehen. "Lügen über meine Mutter" konzentriert sich dabei aber nicht nur auf die Dysfunktionalität innerhalb der Familie, sondern nimmt auch die gesellschaftlichen Anforderungen und Normen in den Blick, denen Frauen in den 1980er Jahren und zum Teil leider auch heute noch ausgesetzt sind. Damit ist das Buch ein sehr eindringlicher, in Teilen schmerzhafter und schonungslos erzählter Roman über das, was angestaubte Rollenbilder und klischeehafte Vorstellungen von Frauenkörpern mit jungen Mädchen und Frauen machen. Ich fand Daniela Dröschers Buch wahnsinnig berührend und eindrucksvoll und wünsche mir, dass es von möglichst vielen Menschen gelesen wird!

Tiefgehend und sooo nachvollziehbar Ela ist ein kleines Mädchen, das schon früh mitbekommen hat, wie der Vater an dem Gewicht der Mutter herummäkelt. Geht es ihm gut, gibt es enttäuschte Blicke. Geht es ihm nicht gut, sind Diäten und Wiege-Ergebnisse ein tägliches Thema am Esstisch. Daniela Gröscher beschreibt erstaunlich genau die Gefühlswelt eines kleinen Mädchens. In manchen Situationen musste ich an meine eigene Kindheit denken. An die Sorgen, die ich mir gemacht habe, wenn ich mal wieder ein Gespräch belauscht habe und völlig überinterpretiert habe. Gleichzeitig trifft es um so härter, wenn man sieht, wie die kleine Ela zwischen den Stühlen sitzt. Zwischen der Mutter, der Ehrlichkeit so wichtig ist, und sie doch bittet, das eine oder andere von dem Vater zu verbergen und dem Vater, der vielleicht doch nicht so falsch liegt, wenn er sagt, dass die Mutter zu dick ist? Vor allem der Vater versucht sie zu manipulieren und für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Durch die dysfunktionale Ehe wird Ela aber auch zur Vertrauensperson ihrer Mutter. Ich würde es nicht als Extremfall nennen, aber ich habe hier eindeutig die umgekehrte Parentifizierung wiedererkannt, über die ich kurz vorher ein Sachbuch gelesen hatte, sprich: Die Tochter fühlt sich mitverantwortlich für die emotionale Stabilität der Mutter und wird zu früh erwachsen. Für mich hat dieses Buch tief getroffen und mich stellenweise auch traurig gemacht. Durch die dysfunktionale Ehe wird Ela auch zum Puffer zwischen den beiden Eltern. Das Buch habe ich als Hörbuch gehört und fand die Stimme von Sandra Voss sehr angenehm und passend zu diesem Buch. Ich kann mir vorstellen, dass der Schreibstil im Buch gut lesbar ist.