Olivia und ihre Schwester Martha wachsen bei ihren Eltern Rita und Karl im Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre auf. Doch ihre Kindheit ist geprägt von den Ängsten, die ihre Eltern und auch die Menschen in ihrer näheren Umgebung während des Krieges ausstehen mussten. So haben Karl und Rita ihren Keller zu einem Bunker ausgebaut, in dem sie immer wieder den Ernstfall proben, wenn Vater Karl im Radio mal wieder etwas aufgeschnappt hat, worüber er sich Sorgen macht. Was für die beiden Mädchen ein Spiel ist, begleitet sie unterbewusst jedoch in ihr Erwachsenenleben. Vor allem Olivia hadert mit ihrem Leben und ihren Erinnerungen und muss erst ihren Weg finden, um sich von den blinden Geistern der anderen zu befreien.
Karl hält ihr Bein fest, während sie spricht, als hätte er Angst, sie könnte verschwinden. Aber das braucht er gar nicht, denn sie verbindet uns vier mit ihrer Stimme, flicht uns fest in eine Erinnerung. In diesem Moment gehören wir fest zusammen. (S. 31)
Die Betonung dieser Textstelle liegt auf in diesem Moment. Denn obwohl man in dieser Geschichte, die aus der Perspektive von Olivia erzählt wird, viel Liebe und Zusammenhalt spürt, sind da unterschwellig auch immer Angst, Vorwürfe und Einsamkeit. Die Familie hält offensichtlich zusammen, doch irgendwie leidet jeder für sich allein. Zwischen den Zeilen ist viel Ungesagtes, die Hilflosigkeit Olivias ist fast greifbar. Sie wünscht sich, das ihre Eltern ihr zuhören und sie unterstützen, letztlich bleibt sie jedoch mit ihrem Straucheln allein. Zuwendung findet sie hauptsächlich außerhalb ihrer eigenen Familie.
Lina Schwenk trifft mit leisen Tönen mitten ins Mark. Olivias innere Kämpfe werden so glaubhaft von ihr beschrieben, das ich wirklich ihre innere Zerrissenheit spüren und nachempfinden konnte. Ich wollte sie oft einfach in den Arm nehmen und ihr sagen: Alles wird gut!
Bereits beim Prolog wusste ich, dass ich ein besonderes Buch lese. Ich war tief berührt und das ganz ohne Kitsch. Aber das müsst Ihr selbst lesen, denn das möchte ich Euch auf keinen Fall vorweg nehmen!
Du musst den Stein genau aussuchen, den du dein Leben lang tragen willst. Der muss so geformt sein, dass du ihn unterschiedlich packen kannst, sonst rutscht er dir irgendwann aus der Hand. Und vergiss nie, die Unterseite auf Würmer zu prüfen. (S. 81)
Blinde Geister ist ein bemerkenswertes Buch über Zusammenhalt, Familie und die Geister der Vergangenheit. Es besticht wirklich durch seine leisen, tiefgehenden Zwischentöne und ich finde, es ist zu Recht für den Deutschen Buchpreis 2025 nominiert. Von mir gibts eine Empfehlung!