Joël Dickers erster Roman »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert« aus dem Jahr 2013 wurde in Frankreich als literarische Sensation gefeiert. Das Buch wurde mit dem Grand Prix du Roman der Académie Française sowie den Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet. Sechs weitere Romane folgten bisher.
Der Roman handelt von einem spektakulären Raubüberfall, der sich im Juli 2022 in Genf ereignet hat. Diese fiktive Geschichte spielt in einem kleinen Vorort der Genfer Gemeinde Cologny.
Zwei Familien, die in unmittelbarer Nachbarschaft leben, kommen sich schnell näher. Arpad und Sophie Braun leben in einer schicken Villa in dem Ort Cologny, Nahe des Genfer Sees. Dieser Kubus ist komplett verglast. Eine große Terrasse mit Schwimmbad rundet das Anwesen ab. Er ist Banker, sie ist Anwältin mit eigener Kanzlei. Greg und Karine Liégean leben eher bescheiden in einer kleinen Doppelhaushälfte, dass die wohlhabenden Nachbarn abwertend »Warze« nennen. Greg ist Polizist bei einer Genfer Sondereinheit und Karine arbeitet in einer Boutique als Verkäuferin. Um diese beiden Paare herum hat Dicker einen spannenden Roman mit unglaublichen Wendungen aufgebaut.
Arpad und Greg haben sich im Fußballverein kennengelernt, wo deren Söhne gemeinsam Fußball spielen. Obwohl beide Familien unterschiedlichen Gesellschaftsschichten angehören, entwickelt sich trotzdem eine Freundschaft. Es ist allerdings eine Freundschaft, die durch Neid, Eifersucht und Missgunst geprägt ist, aber auch voller Lügen und Intrigen.
Greg fühlt sich von Anfang an zu Sophie hingezogen und überschreitet dabei Grenzen, indem er zum Spanner wird und unbemerkt eine Kamera im Schlafzimmer der Brauns installiert. Arpad scheint ein dunkles Geheimnis mit sich herumzutragen. Anders ist es nicht zu erklären, warum er vor einigen Jahren fluchtartig Saint-Tropez verlassen musste, wo er einen guten Job als Barchef eines Clubs innehatte. In Genf arbeitete er bis vor einem halben Jahr als Vermögensberater bei einer Bank, bis er seinen Job verloren hat.
Greg und Karine sehnen sich nach Reichtum und Anerkennung. Karine und Sophie freunden sich an, obwohl das Leben von Sophie bei Karine teilweise Bewunderung, aber auch Neid hervorruft. Die Hauptfiguren sind allesamt klischeebehaftet und stereotyp.
Schließlich schleicht sich ein Unbekannter in einem grauen Peugeot in das Leben der Brauns, indem er sie zunächst nur beschattet. Es gibt offensichtlich Zusammenhänge aus der Vergangenheit, aber auch aus der geplanten Zukunft, an deren Ende der geplante Raubüberfall steht.
Etwas ungewöhnlich erscheint einem die eingeflochtene Geschichte von einem Panther, den sein Herr in der Toskana 1912 von einer Reise mit auf sein Schloss gebracht hat. Die Zeit vergeht und aus dem kleinen Kätzchen wird eine ausgewachsene Raubkatze. Es ist alles harmonisch bis zu dem Tag, an dem es zu einem verheerenden Unglück kommt. Das hat auf den ersten Blick eigentlich nichts mit der Handlung zu tun. Auf den zweiten Blick vielleicht doch, wenn man erfährt, dass sich Sophie am Oberschenkel einen Panther hat tätowieren lassen. Diese verwirrenden Plots scheint Dicker zu lieben.
Trotz verschiedener Zeitebenen verliert man nicht den Überblick. Was auffällt ist der Umstand, dass in den Rückblenden mit Fakten der Vorgeschichte fast ausschließlich von Arpad und Sophie die Rede ist. Greg und seine Familie kommen hier nicht vor. Ist man in der aktuellen Zeit, streut Dicker Kapitelanfänge mit wenig, aber aussagekräftigem Text ein. Auf den darauffolgenden Seiten schließt sich eine Auflistung mit der Anzahl der noch verbleibenden Tage bis zu dem erwähnten Raubüberfall an, die chronologisch heruntergezählt werden bis zum Tag des Ereignisses.
Nach ungefähr der Hälfte wechseln die Wendungen fast wie die Seiten. Häufige Plot-Twists sorgen für Verwirrung. Alle Hauptfiguren lügen fast ständig und haben eine gewaltige kriminelle Energie. Man kann dies als Mangel ansehen oder der hier erzeugten Spannung zuordnen. Die Geschichte wechselt ständig zwischen kriminalistischer Erzählung und Gesellschaftsroman.
Fazit
Joël Dicker ist bekannt für seinen ungewöhnlichen Erzählstil, der sich von anderen Autoren und Autorinnen abhebt. Er beherrscht es wie kein anderer Schweizer Autor, Spannung aufzubauen. Dem ordnet er auch die Glaubwürdigkeit unter.
Das Buch ist eine Mischung aus Kriminalistik und Roman. Liebe, Eifersucht, Lügen und Missgunst werden hier miteinander verwoben. Im Mittelpunkt steht ein geplantes Verbrechen.
Trotz häufiger Wendungen und Wechsel der Zeitebenen ist es unterhaltsam und leicht zu lesen, was für die Erzählkunst des Autors spricht.