Literarischer Befreiungsakt des Sklaven Jim aus Twains Werk "Huckleberry Finn"
Percival Everett startet in "James" mit der aus Mark Twains Klassiker "Huckleberry Finn" bekannten Figur Jim und erzählt die Ereignisse aus dessen Sicht. Anfänglich an die Abläufe der Vorlage angepasst, entfernt sich Everett zunehmend davon und befreit sich vom vorgeschriebenen Plot. Der traurige Höhepunkt ist bei Twain das sadistische Spiel Tom Sawyers mit dem Gefangenen Jim, bei dem er ihm absurde Handlungen aufzwingt, um seine Befreiung zu erlangen, obwohl er weiß, dass Jim eigentlich schon ein freier Mann ist. Bei Everett tritt Tom Sawyer nicht auf. Jim, der eigentlich James heißt, erlebt auf seiner Flucht andere, vielfältige Arten der Unterdrückung. Interessant werden die Unterschiede in Sprache und Verhalten der Sklaven dargestellt, je nachdem ob sie für und vor Weißen agieren oder unter sich sind. Der Erzählstil ist knapp und sprunghaft und passt zu den einfachen Notizen, die James sich immer wieder macht, um am Ende seine Geschichte erzählen zu können. Literarisch hat mich der Text allerdings nicht so richtig überzeugt.Achtung Spoiler:James ist für mich eine stimmige Figur bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich als Hucks Vater zu erkennen gibt. Eigentlich ein von Grund auf ehrlicher Familienvater passt es für mich nicht ins Bild, dass er Hucks Vater sein soll. So wie ich die Figur gelesen habe, würde sie sich verantwortlicher für Huck fühlen und ihn nicht so herzenskalt zurückweisen. Vor allem wird nicht klar, was für eine Beziehung er zu Hucks Mutter gehabt haben könnte. Ab dem Zeitpunkt dieser Enthüllung driftet die Geschichte ins Phantastische ab. James wird zunehmend zorniger gegen seine Unterdrücker und es gelingt ihm, Rache zu üben und seine Familie sowie andere Sklav:innen zu befreien. Es liest sich wie eine Ausarbeitung eines Wunschdenkens, zu schön, um wahr zu sein. Ich muss sagen, dass mich das, was Twain quasi wie nebenbei über die Sklaverei erzählt unter dem Deckmäntelchen einer Abenteuergeschichte mehr erschüttert hat als der Perspektivwechsel mit Befreiungsschlag durch Everett. Trotzdem trägt Everett mit "James" dem begründeten Bedürfnis Rechnung, die eindimensionale, herabwürdigende Darstellung der Schwarzen bei Twain zu korrigieren und sie als kluge, intellektuell ebenbürtige Menschen zu erzählen.