Dass dieses Buch nicht als Abrechnung mit der katholischen Kirche gedacht ist, steht auf der ersten Seite des Vorworts. Das Cover zeigt den Autor mit Hemd und Pullunder verkleidet, wie er den Zeigefinger zum Zeichen des Schweigens vor seinen Mund hält. Pullunderträger, so lernt man später im Text, sind die Erzkonservativen in der katholischen Kirche. Dazu zählte sich der Autor nie. Inzwischen ist er aus der Kirche ausgetreten. Er schweigt auch nicht, sondern erzählt seine Erlebnisse aus der katholischen Priesterausbildung für "Spätberufene".Doch wie kann er glauben, dass seine Schilderungen keine Abrechnung mit der katholischen Kirche seien? Schon allein die Aufmachung sagt genau das Gegenteil.Bühlings Lebensweg, so wie er im Buch von ihm geschildert wird, ist von Anbeginn schwierig. Er wuchs in einem kleinen Dorf auf. Seine Eltern wurden früh geschieden, die Familienverhältnisse ließen eine glückliche Kindheit nicht zu. Mit einem guten Hauptschulabschluss begann er eine Lehre als Koch, die er allerdings früh aufgab. Anschließend vollendete er eine Lehre in einem Baumarkt, doch gesundheitliche Probleme verhinderten hier eine weitere Karriere. In der folgenden deprimierenden Phase der Arbeitslosigkeit begleitete er einmal seine Großmutter in die Kirche. Dort kam ihm dann plötzlich der Gedanke, dass er unbedingt Priester werden will.Man stockt an dieser Stelle beim Lesen, weil man ein gewisses Unbehagen bei der Glaubwürdigkeit dieser Entscheidung spürt. Abgesehen von der Plötzlichkeit seiner Eingebung weiß Bühling zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits, dass er schwul ist.Und damit gelangt man an den Punkt, der dieses Buch etwas schwierig macht. Der Autor macht für einen Teil seiner Probleme die katholische Kirche verantwortlich. Es liegt mir fern, hier für eine Kirche einzutreten, der ich weder angehöre, noch deren Ansichten ich in jeder Beziehung teilen kann. Wenn man aber in eine Organisation eintritt, deren Regeln man kennt und von denen man wissen muss, dass man sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht einhalten kann, dann ist man entweder naiv oder nicht ehrlich. Wenigstens zu sich selbst nicht.Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob man diese Regeln für richtig und gut befindet oder eben nicht. Leider vermischt der Autor diese beiden Probleme miteinander. Immerhin aber hat Bühling am Ende doch noch die Kraft gefunden, seinen Irrweg zu beenden. Er hätte es dabei belassen können, schrieb aber stattdessen dieses Buch, von dem er behauptet, es sei keine Abrechnung mit seiner ehemaligen Kirche. Das wiederum ist wieder nicht ehrlich, denn natürlich ist der Text genau das, was er angeblich nicht sein soll. Er führt seinen Lesern die ganze Zerrissenheit und die fehlende Wahrhaftigkeit der Institution Kirche vor Augen, eben so, wie sie Bühling in seiner hoffnungsvollen Sehnsucht nach einem Zuhause frustriert und enttäuscht zurückließ.Für den unbefangenen Leser sind Bühlings Schilderungen aus den Priesterseminaren ein (natürlich subjektiv eingefärbter, aber sicherlich letztlich doch ehrlicher) Blick hinter die Kulissen, wie man ihn sonst eben nicht erhält. Dabei wird offenbar, dass die katholische Kirche an ihren eigenen moralischen Ansprüchen scheitert. Nach Bühlings Einlassungen muss man davon ausgehen, dass wenigstens ein Fünftel der katholischen Priester schwul ist. Und das, obwohl die Kirche Homosexualität ablehnt. Der zunehmende Priestermangel, so liest man, zwinge die katholische Obrigkeit, über diesen offensichtlichen Widerspruch nicht nur hinwegzusehen. Vielmehr neige sie sogar dazu, diesen Widerspruch zu vertuschen und die Homosexualität ihrer Priester irgendwie zu managen. Auch dem Autor wurden entsprechende Vorschläge gemacht.Ganz abgesehen von diesem Hauptthema des Buches drehen sich Bühlings Schilderungen auch noch um die erzkonservative Strömung in der katholischen Kirche, der sich vor allem junge Priester anschließen, und etwas am Rande um gewisse fürstliche Verhaltensweisen mancher deutscher Bischöfe.Das Buch liest sich leicht, zumal es sich immer nahe an der Lebensreise des Autors orientiert und kaum tiefer geht. Dass es Bühling mit seiner eigenen Wahrhaftigkeit nicht immer so genau genommen hat, kann man ihm nachsehen, denn wahrscheinlich hat er das nicht einmal bemerkt. Die Sterne gibt es für die interessanten Einblicke in eine sonst geschlossene Gesellschaft.