Kein Wohlfühlbuch für den Strand, sondern ein stellenweise befremdlicher Klassiker der italienischen Literatur aus dem Jahr 1962.
Der Strand liegt nicht weit von Rom. Es ist August, es wird September 1943. Alliierte Bomber fliegen Richtung Rom. Die vierzehnjährige Anna und ihr jüngerer Bruder Giovanni werden vom Vater aus dem Nonneninternat geholt und für die Ferien in ein Haus am Meer gebracht. Die Mutter ist vor Jahren gestorben. Im selben Haus leben außer ihm und seiner neuen Gefährtin Nina sein Arbeitgeber mit seiner Frau und dem achtzehnjährigen Sohn Armando.
Es ist das Erstlingswerk der heute 89 Jahre alten Schriftstellerin Dacia Maraini. Im Vorwort schreibt sie zu einer Neuausgabe im Jahr 1998 über sich selbst: "Dieses junge Mädchen hat mit siebzehn Jahren einen nüchternen, ja rauen Roman geschrieben, den sie La vacanza (Ferien im August) nannte, was aber nicht im Sinne einer glücklichen Urlaubsreise oder Erholung gemeint war, sondern eine Leere beschrieb [...]" Ihre Ich-Erzählerin, die vierzehnjährige Anna, ist verstört, "seltsam ohnmächtig" nennt sie Maraini im Vorwort. Niemand erklärt ihr die Welt, die sie beobachtet, sie ist ratlos. Die Liebe des Vaters beschränkt sich darauf, sie und ihren Bruder für die Sommerferien aus dem Internat zu holen und immer wieder zu fragen, ob sie ihn lieb habe. Anna erhofft sich Freiheit. Die bekommt sie: Niemand kümmert sich um die Kinder. Sie sind sich selbst überlassen, probieren sich aus. Alles was verboten ist: Nikotin, Alkohol und ihre Sexualität.
Die Blicke der Jungen und der vor Gier sabbernden älteren Männer im Strandbad sind begehrlich. Sie zieht sich aus für sie, scheinbar unbeteiligt, lässt sich sexuell ausbeuten, wird missbraucht und entzieht sich dann wieder. Was diese beklemmenden Initiationserlebnisse in ihr auslösen, bleibt unklar. Es gibt allenfalls Andeutungen. Maraini lässt ihre Ich-Erzählerin kaum etwas werten. Einmal sagt sie: "Beim Rauchen stellte ich mit Erstaunen fest, dass ich den Eindruck hatte, als sei es gar nicht ich, die dieses zusammengeklebte Papier zwischen die Lippen steckte, sondern jemand anderes und ich würde nur zusehen. Mein anderes Ich verschwand wieder."
Auch nach mehreren sexuellen Begegnungen fragt sie Armando: "Wie schläft man eigentlich richtig miteinander?" Antwort: "Dafür bist du noch zu klein." Den Männern am Strand ist das offensichtlich egal. "Liebe" kann man sich kaufen.
Maraini porträtiert ein Mädchen, das sich aus Zwängen befreien will, aber nicht weiß wie. Die Erwachsenen haben offenbar kaum Interesse an den Kindern. Sie sind das Abbild des italienischen Kleinbürgertums der Kriegszeit. Maraini stellt dessen Oberflächlichkeit, Kleingeistigkeit und Scheinheiligkeit zur Schau. Über allem hängt die Bedrohung durch den Krieg, die aber immer wieder verdrängt wird. Man spielt gerne Karten und versichert sich des Wohlwollens des Bürgermeisters.
Hat sich bei der Rückkehr ins Internat nach den Ferien etwas verändert? Rom ist von Bomben getroffen, Häuser sind zerstört, Straßen kaputt. Die dumpfe, freudlose Atmosphäre im Internat ist die gleiche wie vorher. Wenn man weint, bekommt man "eine Scheibe Brot mit Feigenmarmelade".
Eindrucksvoll, keine leichte Lektüre.
Übersetzt von Ingrid Ickler. Mit einem Vorwort der Autorin 2025 als Taschenbuch erschienen.