Irland 1994, kurz vor Legalisierung der Ehescheidung. Verkrustete Gesellschaftsstrukturen ohne Hoffnung auf weibliche Selbstbestimmung.
Alan Murrin, geboren in Donegal, Irland, ist ein noch junger Autor, der mit Coast Road sein Romandebüt vorgelegt hat. Nach einem Studium des Creative Writing in Dublin und London lebt und arbeitet er heute in Großbritannien. Coast Road wurde vielfach als eindringliches Porträt einer irischen Gesellschaft am Wendepunkt beworben.Der Roman spielt in einer fiktiven Kleinstadt an der irischen Küste, etwa ein Jahr vor dem historischen Referendum von 1995, das die Scheidung in Irland endlich legalisierte. Diese historische Tatsache allein zeigt schon, welch enormen Einfluss die katholische Kirche bis weit ins späte 20. Jahrhundert hinein auf das private und gesellschaftliche Leben Irlands hatte (und noch hat) ¿ und genau dieses Spannungsfeld zwischen Tradition, Moral und individueller Freiheit bildet den Hintergrund des Romans.Im Mittelpunkt steht Colette, eine Schriftstellerin, die ihren Ehemann verlässt, nachdem sie sich neu verliebt hat ¿ ein Schritt, der in ihrer Umgebung als moralisches Vergehen betrachtet wird. Ihr Mann reagiert, indem er ihr den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern verweigert. Parallel dazu zeichnet Murrin die Schicksale weiterer Frauen nach: Izzy, die unter der Selbstgefälligkeit ihres karrierebewussten Ehemanns leidet, und Dolores, die in einer lieblosen Ehe mit einem notorisch untreuen Mann gefangen ist.So weit, so vielversprechend ¿ der Stoff bietet tatsächlich alles, was ein kritischer Gesellschaftsroman braucht: Konflikte, emotionale Fallhöhe, gesellschaftliche Relevanz. Doch Murrin gelingt es nicht ganz, die Potenziale seines Themas auszuschöpfen. Die Sprache bleibt eher schlicht und konventionell, sie trägt die Geschichte, ohne je wirklich zu glänzen. Auch die Figuren, vor allem die Frauen, entwickeln keine innere Kraft, um sich gegen ihre Umstände zu behaupten. Sie bleiben in ihren Rollen gefangen, und ich habe mich am Ende gefragt, ob genau das die Absicht des Autors war ¿ oder ob schlicht eine erzählerische Schärfe fehlt, um das Thema wirklich zum Brennen zu bringen.Trotz dieser Schwächen liest sich Coast Road recht gut: Die Handlung ist klar strukturiert, die Atmosphäre der irischen Küste eindrucksvoll eingefangen. Besonders interessant ist, wie Murrin den Einfluss der katholischen Moralvorstellungen subtil, aber spürbar in den Alltag seiner Figuren einsickern lässt.Fazit: Coast Road ist ein thematisch relevanter Roman über gesellschaftliche Zwänge, weibliche Ohnmacht und den schwierigen Weg zur Selbstbestimmung in einem von Religion geprägten Irland. Sprachlich kein Meisterwerk, erzählerisch solide ¿ und vor allem ein Stück Literatur, das uns daran erinnert, wie jung manche Selbstverständlichkeiten unserer Gegenwart eigentlich sind.