Besprechung vom 27.05.2025
Körper passend machen
Alexander Korte unterzieht affirmative Ansätze in der Debatte um Transsexualität eingehender Kritik
In den zurückliegenden Jahren ist die Meinung, ein Mensch könne kraft seiner Worte von einem Geschlecht zum anderen wechseln, in manchen Ländern zum Gesetz geworden, ja fast zu einer Art Glaubensbekenntnis, gegen das nur gegen Entrichtung hoher Strafgelder verstoßen werden kann. Wer den Glauben nicht teilte, wurde von Aktivisten mit Hass verfolgt. So kam es, dass sich manche Feministin, die lange gegen patriarchale Rollenbilder gekämpft hatte, plötzlich als Rechtsradikale gebrandmarkt sah und dass wissenschaftliche Differenzierung in einer besonders bei Kindern und Jugendlichen entscheidenden Frage verloren ging: Ist der Wunsch nach einem anderen Geschlecht dauerhaft oder vorübergehend?
Diese Frage stellt sich immer drängender angesichts eines sprunghaften Anstiegs von Minderjährigen, die sich in ihrem Körper unwohl fühlen. Einer der Ersten, die in Deutschland auf diese Entwicklung hinwiesen, ist der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte. Weil davon anders als früher besonders Mädchen betroffen sind, vermutete er, dass der Anstieg auch kulturelle Gründe habe wie digitalen Narzissmus, medizinisch-technisches Machbarkeitsdenken, ökonomische Verfügbarkeitsdoktrinen oder Kulturtheorien, die das Flüssige und Hybride feiern. Korte, der seine Position jetzt in einem Buch zusammengefasst hat, sieht dagegen vor allem Sehnsucht nach Festem und Rigiden, die Rückkehr zu fixen Geschlechtern unter neuen, identitären Vorzeichen.
In medizinischer Hinsicht gilt seine Kritik dem transaffirmativen Ansatz, nach dem der Wunsch des Kindes nicht hinterfragt werden darf. Im Hintergrund steht die Annahme, es gebe ein dem Körper widersprechendes wahres Geschlecht, dessen physisches Substrat nur noch nicht gefunden sei. Die kindliche Entwicklung wird nicht als offener Prozess begriffen, der je nach Sozialisation verschiedene Ausgänge nehmen kann, bemängelt Korte, sondern als determiniertes Programm, das notfalls mit Medikamenten und Operation zu vollenden sei. Der transaffirmative Ansatz bringt Ärzte in Verlegenheit, denn er hält sie dazu an, gegen das ethische Prinzip der Schadensvermeidung zu verstoßen, wenn sie der Meinung sind, dass der kindliche oder jugendliche Patient die Folgen seines Wunsches nicht überblicken kann. Die Reflexion des Transitionswunsches über pubertäre Wirren hinaus, die Ergründung psychischer oder sozialer Faktoren, die ihn bedingen können, die Erprobung neuer Geschlechtsrollen vor dem irreversiblen Schritt zur Operation, das alles ist nur schwer zu leisten, wenn ein Arzt nur als Vollstrecker des kindlichen Wunsches verstanden wird. Welche verheerenden Folgen dies haben kann, wurde an der britischen Tavistock-Klinik sichtbar, wo Kinder und Jugendlich im Schnelldurchgang durch den Transitionsprozess geschleust wurden.
Angesichts der Tatsache, dass Studien zufolge rund achtzig Prozent der Kinder und Jugendlichen ihren Transitionswunsch im Erwachsenenalter aufgeben, will eine Transition gut überlegt sein. Korte versucht die dauerhaften von den vorübergehenden Fällen durch eine differenzierte Beschreibung des TransSpektrums abzugrenzen. Nur bei der Geschlechtsdysphorie vom transsexuellen Typus hält er den Einsatz von Pubertätsblockern und Hormonen für gerechtfertigt. Anhaltspunkte sind der frühe Einsatz des Unbehagens am Geschlecht und der kontinuierlich wachsende Wunsch nach einem anderen Körper. In den vergangenen zehn Jahren ist indessen die Zahl der Kinder und Jugendlichen gewachsen, die sich ohne langes vorausgehendes Leiden und ohne klare Begründung einen anderen Körper wünschen. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Typen kann für Korte nur in einem langen und offenen psychotherapeutischen Prozess getroffen werden, in dem auch psychische und soziale Faktoren oder altersbedingte Rollenkonflikte untersucht werden. Oft gehe der Transitionswunsch mit psychischen Erkrankungen oder einer uneingestandenen Homosexualität einher.
Den Vertretern des transaffirmativen Ansatzes hält Korte vor, die Risiken einer schnellen medizinischen Transition herunterzuspielen und auf mangelhafter empirischer Grundlage ein durchweg positives Bild der Transitionsfolgen zu zeichnen. Bei der Johns Hopkins Universität in Auftrag gegebene Studien, die diesem Eindruck widersprechen, hat die World Professional Organisation of Transgender Health nach einem Bericht des "Economist" zu unterdrücken versucht. Durch ein Leak wurde bekannt, dass Mitglieder der Organisation, die weiter die Behandlungsmaßstäbe setzt, selbst nicht daran glauben, dass Heranwachsende die Langfristigkeit ihres Transitionswunsches beurteilen können. Um so mehr irritiert, dass sich die Organisation für die Aufhebung der Altersgrenzen bei der Transition einsetzt.
Scharfe Kritik übt Korte auch daran, dass die Gabe von Pubertätsblockern und Hormonen von Vertretern des transaffirmativen Ansatzes als vollständig reversibler Prozess ohne nennenswerte Risiken dargestellt werde, obwohl sich Hinweise auf Nebenwirkungen wie Knochenschwund oder die Minderung der sexuellen Erregbarkeit mehrten. Ein abschließendes Urteil lässt sich angesichts fehlender Langzeitstudien nicht fällen. Widerlegt sei aber zumindest die oft vorgebrachte Behauptung, der Verzicht auf die Gabe von Pubertätsblockern erhöhe das Selbstmordrisiko. Auch für die These, eine medizinische Transition verbessere das psychische Wohlbefinden, gebe es keine klare Evidenz. Nach einer Befragung der Fachzeitschrift "BMC Public Health" sind siebzig Prozent der Befragten nur leidlich zufrieden oder unzufrieden mit dem modifizierten Körper.
Der Vorzug des Buches liegt in der Verbindung fachmedizinischer und kulturkritischer Perspektiven. Korte porträtiert den Transgenderaktivismus als Bewegung, die unter liberaler Flagge einer traditionalistischen Geschlechterordnung das Wort redet, ohne die dahinterliegenden ökonomischen und kulturellen Triebkräfte zu durchschauen. Der Ursprung der Verwirrung liege in widersprüchlichen theoretischen Konzepten aus dem Identitätsbaukasten Judith Butlers und Begriffen wie Geschlechtsidentität, die suggerieren, Geschlecht sei eine von Körper und Sexualität unabhängige Tatsache des Glaubens und Fühlens, während man von den Krankenkassen zugleich die Kostenübernahme für körperliche Eingriffe verlangt.
Korte war mit seiner Position lange allein in einem Meer von Anfeindungen. Inzwischen hat weltweit ein Umschwung eingesetzt, Länder wie Schweden, Finnland, Großbritannien und Frankreich sind vom transaffirmativen Ansatz abgekehrt und setzen verstärkt auf Psychotherapie. In Deutschland sind die Lager gespalten, wie die zwei Sondervoten zu der neuen medizinischen Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter zeigen, die kürzlich nach heftigem Streit verabschiedet wurde. Kortes kluges und unabhängiges Buch leistet in dieser Situation wertvolle Aufklärung. THOMAS THIEL
Alexander Korte: "Hinter dem Regenbogen".
W. Kohlhammer Verlag, Wien 2024.
411 S. geb.
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