Familiengeschichte.
Eine Auseinandersetzung mit dem hinfälligen alten Vater, ein Erinnerungsbuch für einen Überlebenden der Shoah, die Geschichte einer dysfunktionalen Familie. Oft sehr lustig, manchmal bitter und ernst.
Den Plot sucht man vergebens. Wie auch? Die Geschichte von Otto, dem Vater der Ich-Erzählerin, ist eine Geschichte der Brüche und Neuanfänge. Und er erzählt sie der Tochter nicht chronologisch, sondern springt hin und her: von den Kosmetiktipps seiner Omama, wie man schöne Fingernägel bekommt (seitlich an den Fingerkuppen entlangstreifen) zu den Umerziehungsmaßnahmen der rumänischen kommunistischen Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg, zurück zur Judenverfolgung, zur Auswanderung nach Haifa und nach Deutschland, ins Olympische Dorf und zur Anstellung an der Uni bis zur Heimkehr ins Reihenhaus in Trudering. Ganz schön viel Leben im Zwanzigsten Jahrhundert!
Es ist die Geschichte eines Siebenbürger Juden, der seiner Tochter aufträgt, die Geschichte der Familie und der "untergegangenen Welt" aufzuschreiben. Die "schöne Bitte" ist eher ein Befehl. Das kennen die beiden Töchter schon seit ihrer Jugend:
"Wir waren mit den Vorschlägen unseres Vaters seit vielen Jahren vertraut. Auch als wir schon sechzehn Jahre alt waren, schlug Otto uns vor, um Punkt achtzehn Uhr zu Hause zu sein; er schlug uns vor ihn anzuhauchen, wenn wir von der Schule kamen, damit er überprüfen konnte, ob wir wieder an der Münchner Freiheit rote Gauloises geraucht hatten..."
Otto ist ein Familienmensch, ein Geizhals und ein Tyrann. Seine Ansichten und Gewohnheiten sind absurd, seine Aussagen widersprüchlich, oft sehr direkt und verletzend. Die Liebe seiner Tochter ist ihm trotzdem gewiss.
Widerwillig lässt sich Timna, die ältere der beiden Schwestern auf das Erinnerungs-Projekt ein. Das Problem sei, dass Otto wie alle Siebenbürger und alle Siebenbürger Juden alles immer romanciert erzählen würde. Die Erzählerin tut das zum Glück auch und verwebt mit ganz großem Witz ihre eigenen Erfahrungen und ihren Alltag rund um den schwierigen Vater mit den Geschichten. Sie erzählt von der Ehe der Eltern, der Alkoholsucht der Mutter, den psychischen Schwierigkeiten der Schwester und den eigenen Erfahrungen als Jüdin.
Kein Shoah-Roman, sondern eine Erzählung der Nachgeborenen.
Leicht und schwer. In einem Rutsch zu lesen. Nicht nur für "alle pensionierten Ingenieure" (Widmung der Autorin), sondern für alle, die einen Hang zu lakonischem, dunklem Humor haben. Sommerfrischen-Lektüre mit Anspruch.