Kein Roman, der einen Kreis schließt und am Schluss alle zusammenfinden lässt: Dafür sind die Einschnitte, von denen erzählt wird, zu tief.
Nur ein Blick hoch in den Himmel und verschiedene Menschen an verschiedenen Orten können zur gleichen Zeit das gleiche sehen: Mauersegler sind es in Daniela Kriens drittem Roman "Die Liebe im Ernstfall", zu denen die fünf Protagonistinnen hinaufschauen - Vögel, die Freiheit symbolisieren und von denen es heißt, dass sie die Kraft hätten, die Menschen miteinander zu verbinden.Nach der deutschen Wiedervereinigung leben die Buchhändlerin Paula, die Ärztin Judith, die Schriftstellerin Brida, die Geigenlehrerin Malika und die Schauspielerin Jorinde nicht nur geographisch im Grenzbereich zwischen West und Ost, sondern auch zwischen alten und neuen Rollenbildern von Mann, Frau und Familie, aber vor allem zwischen der harschen Wirklichkeit und ihren Wünschen an das Leben. Die fünf Frauen, von denen jede für einen eigenen Abschnitt des Buchs ins Zentrum rückt, begegnen sich beiläufig oder auch öfter, kennen sich mehr oder weniger gut, sind befreundet oder gar miteinander verwandt. Keine von ihnen bleibt eindimensional oder undynamisch - als Figuren sind sie nach allen Richtungen hin fein ausgearbeitet: von ihren Hobbies - wie Jagen und Reiten - über ihre Berufe - von Medizin bis Musik - bis hin zu ihren politischen und lebensphilosophischen Ansichten sowie ihren Vorstellungen von Liebe und Leidenschaft.Erhellend sind dabei die Perspektivwechsel, wenn etwa die vom Leben gezeichnete Paula aus dem Blickwinkel der geradlinigen Judith beleuchtet wird und Judith wiederum aus den Augen der Autorin Brida gezeichnet wird. Durch das Auffächern der weiten Felder Beziehung und Begierde auf gleich mehrere Protagonistinnen ergibt sich eine Reichhaltigkeit an Themen und Lebensgeschichten - von erfülltem Kinderwunsch und der Reue danach über nicht erfüllten Kinderwunsch und der Trauer darüber. Von dem Verlangen nach einem starken Partner - der dominant sein oder auf Augenhöhe stehen soll - bis hin zur Unabhängigkeit von Männern überhaupt. Dabei schwingt im Hintergrund immer das gesellschaftliche und politische Klima des Nachwendedeutschlands mit.Ideologische Neuorientierung nach rechts oder Verharren auf dem linken Spektrum gleichermaßen wie ein Aufbruch ins Ökologische oder gar Esoterische. Konstant bleiben nur die Funktionen, welche Frauen und Männer in dieser Umbruchgesellschaft einzunehmen haben. So darf eine Frau keinen allzu eigenen Kopf besitzen, zwar schon ihre eigene Ziele verfolgen, aber nur solange diese nicht mit Mutterschaft in Konflikt geraten und bitte keinerlei alternativen, sprich mann-freien, Familienmodelle etablieren wollen.Daniela Krien findet für diese Vielschichtigkeit an Gedanken und Figuren eine kompakte, temporeiche und eingängige Sprache, die auch das eine oder andere Bild und Leitmotiv zulässt. Besonders die Differenziertheit und Unterschiedlichkeit der Protagonistinnen und Nebencharaktere ist dabei herauszustellen, insbesondere die glaubhafte Genauigkeit bei der Beschreibung deren verschiedener beruflichen Hintergründe und privater Vorlieben. Sorgfalt lässt die Autorin auch bei der Verknüpfung der individuellen Schicksale walten. Die zeitlichen Relationen verschieben sich nämlich in der Erzählung oft, doch wird durch erzähltechnische Kniffe in jedem Moment klar, von wann erzählt wird und ob ein Sprung nach vorne oder zurück stattgefunden hat in Relation zwischen den fünf Biografien."Die Liebe im Ernstfall" ist aber kein Roman, der einen Kreis schließt und am Schluss alle zusammenfinden lässt: Dafür sind die Einschnitte, von denen erzählt wird, zu tief, die Konfliktpositionen zu unüberbrückbar und das Leben nicht so einfach, aber findet doch jede der fünf Frauen - für manch eine versteckt in Details, etwa in einem Nebensatz - wenn doch kein Happy End dann zumindest eine Hoffnung darauf.