Plyn, Cornwall (England) 1830 - 1930: Ein Jahrhundert, eine Familie, vier Generationen. Mit Janet fängt alles an. Zu Beginn ist diese frisch mit Thomas Coombe verheiratet. Das fruchtbare Paar lebt in gutbürgerlichen Verhältnissen im beschaulichen fiktiven Hafenstädtchen Plyn an der englischen Küste. Doch Janet würde sich am liebsten aus den familiären Ketten befreien. Es zieht sie zur Küste, zum Meer. Wäre sie doch nur ein Mann geworden und könnte zur See fahren und dort die Freiheit spüren. Ihr Traum erfüllt sich schließlich in ihrem Sohn Joseph, der Liebling unter ihren sechs Kindern. Er teilt ihre Vorliebe für das Meer und die Seefahrt. Doch der Neid auf die besondere Mutter-Sohn-Beziehung wächst im jüngsten Sohn Philip. Die Rivalität der Brüder spaltet die nachfolgenden Generationen. Dramatische Szenen spielen sich ab auf der Suche nach dem guten liebenden Geist von Plyn.
The Loving Spirit ist der Debütroman von Daphne du Maurier, er wurde schon kurz nach Erscheinen 1931 zum Bestseller. Heute ist die Schriftstellerin bekannter für ihren sieben Jahre später erschienen Roman Rebecca. Dieser verkaufte sich zwischen 1938 und 1965 fast drei Millionen Mal und wurde 1940 von Alfred Hitchcock verfilmt. Letzterer bediente sich gerne an den Werken du Mauriers, Die Vögel und Jamaica Inn (deutsch: Riff-Piraten) basieren ebenfalls auf Erzählungen der Schriftstellerin.
Du Mauriers Plotaufbau besticht durch einen Mix aus unterschiedlichen Genres Suspence, Mystik, Tragödie, Romantik und Schauerroman. Deutlich wird dabei eine Parallele zu den Bronte-Schwestern. Zitate von Emily Bronte sind jedem der vier Teilabschnitte vorangestellt, auch der Originaltitel stammt aus einer Gedichtzeile. Als Inspiration für du Maurier mag auch die Frauenbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts gedient haben. Janet Coombe, die Ausgangsfigur in der Familiensaga, zu der alle Fäden der Geschichte zurückzuführen sind, kann als emanzipatorischer Charakter gelesen werden. Darüber hinaus basiert die Figur auf einer historischen Grundlage. In einem Ort in der Grafschaft Cornwall lebte einst eine Jane Slade, nach der ein Segelschiff benannt wurde. Die Autorin stieß zufällig auf ihre Familiengeschichte und nutzte diese als Ausgangspunkt für ihren Plot.
Das Schiff stellt ein wiederkehrendes Hauptmotiv im Roman dar. Dieses wird mal stürmisch, mal idyllisch freiheitsstiftend in Szene gesetzt. Der mystische Touch, der sich durch die Zeilen zieht, ist mir positiv aufgefallen. Janet taucht nach ihrem Ableben als Geist in Erscheinung und personifiziert sich in der Galionsfigur des Familienschiffs. Eher unangenehm waren mir die Textstellen, in denen die enge Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Janet und Joseph nahezu inzestuös beschrieben wurde. 'Gute Nacht, meine Mutter, meine Schöne, meine Liebste.' 'Gute Nacht, mein Liebster, mein Kind, mein Sohn' (S. 49).
Der Roman hat Längen, in denen seitenlange Beschreibungen von Alltagssituationen stattfinden. Das ist einerseits ermüdend, da wir in der heutigen Zeit diesen Schreibstil nicht gewöhnt sind, andererseits unterstreicht es die Stimmungslage und übt eine gewisse Sogwirkung aus. Für mich traf es sich gut, dass ich mehrere Regen- und Gewittertage zum Lesen dieses Buches nutzen konnte. Für die besondere Leseatmosphäre bei diesem Roman kann ich das sehr empfehlen.
Negative Kritikpunkte muss ich leider dem Verlag für die Gestaltung der Ausgabe geben. Angefangen beim Titel: Im Roman geht es sowohl um weibliche als auch um männliche Schicksale. Der Titel suggeriert, es handele sich ausschließlich um die Frauen von Cornwall. Der Roman wird dadurch in eine Schublade gesteckt, die dem Inhalt konträr gegenübersteht. Wurde hier seitens des Verlags Pinkwashing betrieben? Die erste deutsche Übersetzung hielt sich näher am Original: Der Geist von Pyln. Auch das malerisch, harmonieverklärte Cover trifft nicht ganz den Inhalt. Das Bild einer Klippe bei Nacht mit hohen bedrohlich wirkenden Wellen hätte sich besser geeignet und hätte auch farblich besser zu denen bereits im Insel-Verlag erschienenen Neuauflagen von Rebecca, Jamaica Inn und Meine Cousine Rachel gepasst. Als dritten Gestaltungspunkt möchte ich den fehlenden Stammbaum anmerken. Gerade bei einer Familiensaga (schon auf dem Cover erwähnt) ist ein Stammbaum unerlässlich. Ich stimme zu, dass dieser den Lesenden potenziell spoilern könnte, doch bei einer Platzierung im hinteren Teil des Buchs könnte dieses Problem umgangen werden. Der Lesende könnte dadurch die Spoiler umgehen. Vielleicht könnte man einen Stammbaum in einer zweiten Auflage ergänzen.
Fazit
DIE FRAUEN VON CORNWALL von Daphne du Maurier ist eine Familiensaga mit Elementen aus Suspence, Mystik, Tragödie, Romantik und Schauerroman. Düsternis und Intrigen treffen sich im Lieblingskind-Motiv. Das Debüt der britischen Schriftstellerin ist ein atmosphärischer Roman mit inhaltlichen Längen für raue Gewitterabende. Kein Muss für jeden, doch lohnend für Fans der Autorin. Die verlagsseitige Gestaltung weist leider Mängel auf.
Die Frauen von Cornwall | The loving spirit | Daphne du Maurier | 1931 | aus dem Englischen von Brigitte Heinrich | Insel Verlag | 2025 | 496 Seiten| 15,00€