Bedrückende Zukunftsaussicht aus dem Schatten der Vergangenheit
Die letzten Wahlergebnisse in Deutschland haben mich sehr nachdenklich gestimmt. Warum wählen gerade junge Leute eine Partei, die unser demokratisches System zerstören möchte? Wovon werden sie angezogen? Stehen gemeinsame Ziele und Ausgrenzung über Freiheit, Toleranz und einer offenen Gesellschaft?Davide Coppo hat mit Ettore eine Figur geschaffen die Schatten auf seine eigene Vergangenheit wirft. Er beginnt, sich in der Pubertät zunehmend für Politik zu interessieren. Dabei ist es das nationalistische Gedankengut, was ihn für sich einnimmt. Er gerät an Freunde, die faschistische Ideologie gewaltfrei leben wollen. Er merkt nach und nach, dass er mehr möchte. Deutlichere Glaubwürdigkeit scheint er zu suchen, linst rüber zur Splittergruppen, die gewalttätiger sind. Auch wenn er es erst nicht wahrhaben möchte, sieht er dort seine Zukunft.Er merkt die Ablehnung seines Freundeskreises, auch seine Eltern, hier insbesondere seine Mutter, sind angewidert von seinem Verhalten und lassen ihn dies auch deutlich spüren.Ettore ist ein kluger Kopf, der seine politischen Ideale auf der falschen Seite sucht und mit vielen Situationen überfordert ist. Orientierungslosigkeit, Eltern, die ihr Kind zwar fordern, aber nicht emotional begleiten, und die Suche nach einer eigenen Identität sind die Themen des Heranwachsenden. Er vermisst ein Zugehörigkeitsgefühl, und ich glaube, genau das ist der Reiz, den nationalistische Vereine auf junge Menschen ausüben. Sie schließen eine Lücke, in der wir als Gesellschaft sozialpolitisch versagen. "Inzwischen ging ich zweimal die Woche hin und verspürte einen Gemeinschaftsinn, der seine eigenen Namen und Gesten besaß und den ich sonst mit niemandem teilte. Zudem empfand ich, ohne dass damals erklären zu können, eine Zusammengehörigkeit und Verbundenheit, die sich tatsächlich am besten mit dem Begriff Kameradschaft zusammenfassen ließ." In einer Zeit, in der das Individuum mehr zählt, als die Gemeinschaft und eine Vereinzelung der Gesellschaft stattfindet, scheitern wir als soziale Wesen, die wir ja sind. Dafür ist man in der Adoleszenz besonders anfällig.Dass das Ausüben von Gewalt in dieser Zerrissenheit einen großen Reiz auf Ettore ausübt, verwundert nicht. Seine Überforderung entlädt sich und hat Konsequenzen.Coppo hat, dem Ich-Erzähler eine sensible Persönlichkeit verliehen. Er sehnt sich nach Anerkennung, er hält aber meist Ablehnung. Das hinterlässt Spuren.Gerade diese zarte Erzählweise steht in einer krassen Relationen zum Inhalt. Mich hat das Buch sehr gefangen genommen, wenn sich in mir auch ein bedrücktes Gefühl breit machte.Und mit Sorge blicke ich in die Zukunft, in der allein in NRW über 80 Millionen € im sozialen Bereich eingespart werden, und das wird in erster Linie Jugendliche treffen, die schon heute nicht wissen, wer Ihnen Orientierung und eine Vorbildfunktion bietet und wo sie ihre Freizeit verbringen sollen.Das Buch zeigt deutlich, auf welche Folgen es haben wird. Klare Leseempfehlung.