Ich musste mich zu Beginn ein wenig an den Schreibstil gewöhnen - das Präsens war für mich ungewohnt, zumal ich Don Winslow bisher anders erlebt habe. Doch schon nach wenigen Seiten zieht er einen mit seiner typischen Wucht in eine Welt, die so greifbar, so roh und atmosphärisch dicht ist, dass man das Gefühl hat, selbst im moralisch fragwürdigen Sumpf von Harlem zu stehen.Was Winslow hier leistet, ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich: Die Geschichte baut sich langsam, aber kraftvoll auf. Anfangs weiß man nicht genau, wohin die Reise geht - doch je weiter man liest, desto klarer wird, dass hier ein meisterhaft konstruierter Bogen gespannt wird. Am Ende wirkt alles rund, geschlossen, komplett - so eine erzählerische Konsequenz habe ich selten erlebt. Es bleibt ein Gefühl von großer Zufriedenheit zurück, das fast filmisch nachhallt.Die Figuren sind beeindruckend - nicht nur die Hauptfigur, die mich emotional stark bewegt hat, sondern wirklich jede einzelne Rolle: Kollegen, Familie, Geliebte, selbst Nebenfiguren wie ein kleiner Dealer. Winslow braucht nur wenige Zeilen, um Menschen zum Leben zu erwecken - mit Ecken, Kanten, Ambivalenz und Tiefe. Man versteht ihre Motive, spürt ihre Widersprüche, fühlt mit - im Positiven wie im Negativen.Die Spannung entsteht nicht durch große Knalleffekte, sondern durch eine stetig enger werdende Schlinge, die sich um die Hauptfigur und ihr Umfeld legt. Kapitel für Kapitel spürt man das zunehmende Gewicht der Entscheidungen - und irgendwann merkt man, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.Besonders gelungen ist Winslows Fähigkeit, auch die Vergangenheit der Hauptfigur in die Gegenwart einzuweben, ohne dass der Erzählfluss stockt. Diese Rückblenden sind nicht nur dramaturgisch clever, sie sind essenziell, um die innere Zerrissenheit und die Motivation der Figur zu verstehen.Das Ende kam für mich überraschend, aber nicht konstruiert. Es ist versöhnlich, ohne kitschig zu sein. Ich habe mich mit diesem Buch auf eine intensive Reise eingelassen - und bin mit etwas Großem belohnt worden.Für mich ist Corruption ein Meisterwerk - episch in seiner Erzählweise, emotional tiefgründig und erzählerisch brillant. Es ist ohne Frage das beste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe - und eines der besten überhaupt.