Besprechung vom 28.10.2024
Butterbrote und Bomben
Dr. Seuss' Kinderbuch-Klassiker, das famose Antikriegsbuch "Die Butterbrote-Besseresser-Schlacht", liegt endlich in fabelhafter deutscher Übersetzung vor.
Der 1904 als Theodor Seuss Geisel geborene und 1991 als Dr. Seuss gestorbene Autor von rund 60 Kinderbüchern ist einer der großen Humanisten der amerikanischen Literatur. Im Ersten Weltkrieg erlebte der deutschstämmige Geisel Anfeindungen aufgrund seiner Herkunft, doch er blieb standfester Verteidiger von Respekt und ethischen wie ökologischen Belangen. Ab Mitte der Fünfzigerjahre verfasste er vermehrt blumenbunte Bilderbücher von unverblümt engagierter Färbung.
In keinem Buch tritt der politische Dr. Seuss so direkt hervor wie in dem unter den Reagan-Regenwolken verfassten Spätmeisterwerk "Die Butterbrote-Besseresser-Schlacht" (1984). Schwimmend in den Nachwellen des Vietnamkriegs und im Auge des Kalten-Krieg-Sturms meinte Geisel Anfang der Achtziger, er arbeite "an einem kleinen Buch, das mit den Mitteln des Humors aufzuzeigen versucht, wie vollkommen zwecklos der nukleare Krieg ist".
Übersetzt in seine konfettibunte Bildwelt mit flauschigen Blumenbäumen und gutmütigen Fellwesen, stellt sich das wie folgt dar: Zwei verfeindete Gruppen leben nebeneinanderher, getrennt allein durch eine Mauer - build the wall! Die einen, aus deren Perspektive erzählt wird und die nach den Regeln des Narrativs die "Guten" sind, heißen "Schnauser". Die anderen, die Widersacher, heißen "Flauser". Die größte Spinnerei, die diese Flauser im Kopf haben: Sie buttern ihre Brotscheiben nicht wie die Schnauser auf der Oberseite, sondern auf der Unterseite.
Die Erzählung beginnt mit einem alten Schnauser, der seinen Enkel über die Feindschaft zwischen Schnausern und Flausern aufklärt: "Dann sagte Opa: 'Es ist höchste Zeit, / du erfährst nun von folgender Scheußlichkeit: / In jedem Flauserhaus, / hinter allen Flausertüren / hausen Flauser, die die Butter / unters Brot schmieren!'" Ganz klar, das bedeutet Krieg!
Das Kind als Adressat im doppelten Sinn - in der erzählten und in der wirklichen Welt der Lesenden - steht hier als Zeichen der Zukunft, das von einem kriegerischen Gestern erfährt, um die Welt von Morgen mit Frieden zu prägen.
Dr. Seuss' Biographen erklären, dass der in Oxford ausgebildete (obschon nicht mit Doktortitel versehene) Geisel das abstruse Butterbrot-Scharmützel ersann, weil ihm aus seinem Studium in Erinnerung geblieben war, dass sich die verfeindeten Guelfen und Ghibellinen, die sich im Italien des Mittelalters bekämpften, auch dadurch unterschieden, dass die einen ihre Äpfel horizontal, die anderen sie vertikal aufschnitten. Und in Jonathan Swifts Satire "Gullivers Reisen" wird ein Krieg entfacht, weil zwei Gruppen ihre gekochten Eier an unterschiedlichen Stellen aufschlagen. Wiederholt wurden - nicht nur in der Literatur - Großkriege aufgrund von Kleinigkeiten angezettelt.
Beim Schreiben musste Geisel allerdings zur Inspiration nicht weiter blicken als auf seine Regierung während des Kalten Kriegs, auch wenn das Wettrüsten seiner Phantasiewelt zwar nicht wahnsinniger, aber witziger zugeht.
Die Schnauser erfinden eine "Dreifach-Steinschleuder-Haubitze", worauf die Flauser einen "Steinschnapper" entwickeln, der die Schnausersteine zurückfeuert. Die Schnauser ertüfteln einen "Flitzprügelschlaghammer" und eine "Jaucheverschmauchkanone, / geladen mit Güllemorastpulverschlamm". Die Flauser parieren: "Das achtkanonig-elefantengestützte Pengblitzmobil" wird angekündigt. Blättert man auf die Seite mit diesem blauen, auf zwei mürrisch dreinblickende Elefanten geschirrten Gefährt, das von einem uniformierten Flauser mit Epauletten gesteuert wird, erblickt man eine der besten und schrägsten Illustrationen aus Dr. Seuss' Gesamtwerk. Seinem unvergleichlich surrealen Sprachwahnsinn setzte Seuss immer noch einen drauf mit irrsinnig schrägen Bildern: ob Elefanten mit Tatzen, Fischen mit Schnauzen oder Maschinen mit Händen.
Im Hintergrund der Bilder zur Kriegsplanung verzichtet Seuss auch nicht auf das Detail von technokratischen Hinterzimmer-Ingenieuren, die vom "Chef-Schnauser" angeheuert werden, als wollte der Autor die Angestellten von Oppenheimers Manhattan-Projekt karikieren. Das Wettrüsten kann auf nichts anderes hinauslaufen als auf die eine große Bombe: "Zurück im Büro ging es drunter und drüber. / 'Alles klar', sprach der Chef. 'Keine Angst, mein Lieber! / Du weißt, meine Jungs sind wirklich nicht dumm. / Das neuste Gerät macht sie alle stumm. / Geladen mit magischem Muuh-Lacka-Mumm, / haut es die Flauser zu Tausenden um. / HIER IST ES! DAS / KLITZEKLEINE / KOLOSSALE / KRACHPENGBUMMBUMM!'"
Eine Kernfusion im winzigen Atomkern ist fähig, die Welt zu vernichten. Bei Dr. Seuss hat das Winzige immer die Macht, Monumentales zu bewirken, im Guten wie im Schlechten. Der frappierend offene Ausgang des Buchs ist das einzig mögliche Ende, wenn sich zwei hochgerüstete Kriegstreiber auf der Mauer gegenüberstehen, jeder von ihnen in der Hand eine Bombe, die nicht größer ist als ein pinkfarbenes Lutschbonbon. Als Echo der Hiroshimabombe Little Boy heißt die Waffe im Original sogar "Big-Boy Boomeroo", etwas, das in der deutschen Übersetzung nicht einzufangen ist.
Macht aber nichts, denn Nadia Buddes Übertragung ist fulminant. Wenn sie an der einen Stelle auf ein Sprachspiel verzichten muss, bringt sie an einer anderen immer eines ein, da sie, wie alle klugen Übersetzerinnen, weiß, dass nicht die Eins-zu-eins-Übertragung kongenialen Wert hat, sondern dass sich die Waage der Kunstgriffe halten muss. Budde schöpft aus dem Vollen und bildet Wortzusammensetzungen, die so schön sind, dass der Komposita-Liebhaber Geisel gegrinst hätte. An einer Stelle trifft man ein armes schlaues Hündchen namens Daniel, das ausschaut wie ein Cousin von Max aus "Der Grinch". Wie Putins Spionagewal, der gerade in Norwegen verstorbene Hvaldimir, muss auch Daniel in den Krieg ziehen und die "Jauchekanone" schleppen. Und da zaubert Budde: "des Landes erster Kanonenspaniel". Phantastisch!
Geradeso phantastisch wie das gesamte Buch, das leider hochaktuell bleibt, indem es Kriegstreiben auf einfache, hinreißende Art verspottet. Bei Erscheinen war das Buch ein großer Erfolg, auch wenn manche vermuteten, das Ende sei zu finster und zu komplex für Kleinkinder. Ted Geisel war anderer Meinung, denn er glaubte felsenfest, Kinder gehen verantwortungsvoll mit Vernunft und vernünftig mit Verantwortung um. JAN WILM
Dr. Seuss: "Die Butterbrote- Besseresser-Schlacht".
Aus dem Englischen von Nadia Budde. Verlag Antje Kunstmann, München 2024. 48 S., geb., 19,- Euro.
Ab 4 J.
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