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Besprechung vom 08.08.2020
Krabbelnde Proteine
Die Untertanen der Pharaonen siedeten sich einen Skarabäuskäfer in Schlangenfett, wenn sie an Malaria litten. Die besseren Stände im aristotelischen Griechenland grillten Zikaden, wenn ihnen der Sinn nach ganz besonderen Delikatessen stand. Im Rom der Imperatoren waren fette Würmer aus der Rinde von Eichen ein Fest für jeden Feinschmecker. Und auch wir essen noch immer Insekten, obwohl wir nicht wissen, dass Äpfel mit Hilfe von Gummilackschildläusen gewachst und Joghurts mit Cochenilleschildläusen gefärbt werden.
Florian J. Schweigert hingegen, Ernährungswissenschaftler, Veterinärmediziner, Physiologieprofessor, weiß alles über essbare Insekten und hat mit diesem schmalen Buch ein flammendes Plädoyer für ihre sofortige Aufnahme in unseren Speiseplan geschrieben, weil das in Zeiten knapper Proteinquellen, katastrophaler Erderwärmung und drohender Hungersnöte ein Gebot der Vernunft ist. Denn Insekten sind nahrhaft und schmackhaft, brauchen bei ihrer Aufzucht wenig Platz und kaum technischen Aufwand, reproduzieren sich rasend schnell und haben eine viel bessere Ökobilanz als Rind, Schwein und Huhn.
Der Autor hält uns Europäern den Spiegel der Unvernunft vor, weil wir uns grundlos vor etwas ekeln, wonach man sich in vielen anderen Kulturen die Finger leckt - etwa nach geräucherten Bambusrohr-Grillen à la thaïlandaise oder den Eiern von Wasserwanzen, die man als "mexikanischen Kaviar" kennt. Und er führt uns mit fast sadistischer Lust unsere Paradoxien vor Augen, indem er detailliert schildert, wie oft Bienen unseren geliebten Honig herunterschlucken und mit reichlich Speichel wieder hervorwürgen. Dass man nach der Lektüre trotzdem nicht sofort zum glühenden Insekten-Gourmet wird, liegt nicht an ihm, sondern am Starrsinn, mit dem wir uns an unsere kulinarischen Konventionen klammern.
JAKOB STROBEL Y SERRA.
Florian J. Schweigert: "Insekten essen". Gebrauchsanweisung für ein Nahrungsmittel der Zukunft.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 159 S., Abb., br.
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