Besprechung vom 22.07.2022
Fremde Ähnlichkeit
Vom Übersetzen: Schleiermachers Text in einer neuen Ausgabe
Die Romantik, eine Hochblüte der Literaturübersetzung in Deutschland, ist auch eine Zeit intensiver übersetzungstheoretischer Reflexionen gewesen. Ein bedeutendes Dokument des damaligen Diskussionsstandes, das zu den Grundlagentexten der heutigen Übersetzungswissenschaft zählt, ist Friedrich Schleiermachers 1813 in der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltene Rede "Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens".
Schleiermacher, der Platon-Übersetzer und Begründer einer philosophischen Hermeneutik, deutet das Übersetzen als Problem der Annäherung des Eigenen und des Fremden, ein Verhältnis, aus dem er zwei idealtypische Wege der Vermittlung ableitet: Entweder verfremdet der Übersetzer die Zielsprache, bewegt also den Leser zum Autor; oder er bringt die Fremdheit zum Verschwinden, bewegt also den Autor zum Leser.
Die Prämisse der letzteren, "einbürgernden" Methode, sie könne das Werk des Autors bieten, wie er es geschrieben hätte, wäre er Deutscher, verfehlt jedoch für Schleiermacher das Wesen der Sprache. Denn diese bestimme das Denken des Autors im selben Maße, wie er sie gestaltet. Schleiermacher plädiert deshalb für eine Übersetzung, deren Sprache auf die Strukturen der Ausgangssprache und ihren Gebrauch durch den Autor verweist, die mithin erahnen lässt, dass sie nicht "frei gewachsen", sondern "zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei".
Wie es gelingt, die "Wendungen der Urschrift" spürbar zu machen, lässt Schleiermacher offen. Doch man erfährt es aus dem eleganten Nachwort von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Anhand vieler Beispiele, die von Flaubert über Georges Simenon bis Yves Bonnefoy reichen, gewähren die Herausgeber des Bandes hier Einblicke in ihre hermeneutisch geprägte Übersetzungspraxis.
Aufgeräumt wird dabei zugleich mit zahlreichen Gemeinplätzen der Literaturkritik: Keine Übersetzung erreiche das Original, Übersetzung sei stets Annäherung. Das aber ist auch nicht Ziel der Übersetzung, die der Definition nach vom Original geschieden ist. Annäherung ist sie höchstens an ihre ideale Gestalt in der Muttersprache, als Ergebnis eines künstlerischen Verstehens des sprachlichen Kunstwerks. Nur dann ist sie selbst Kunst. MAXIMILIAN GILLESSEN
Friedrich Schleiermacher: "Über die verschiedenen Methoden des
Übersetzens".
Hrsg. und mit einem Essay von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Alexander Verlag, Berlin 2022. 152 S., br.
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