Der Roman beginnt mit einer beängstigenden Szene. Eine Person ist angekettet und eingeschlossen von Schnee sie ist sich vollkommen bewusst, dass sie sich nicht selbst helfen kann, sondern warten muss, bis sie befreit wird. Das beschreibt schon sehr gut die Stimmung, die im Krimi vorherrscht, und der Einstieg macht im Zusammenhang mit dem Klappentext neugierig auf die Story.Die eigentliche Story beginnt mit einem Anruf.Die ehemalige Profilerin Bjørk Isdahl arbeitet mittlerweile als Wut-Coach, nachdem sie auch mit der Arbeit in einer Drogenberatungsstelle gescheitert ist. Sie versucht, ihren Klientinnen und Klienten zu helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, und bräuchte doch selbst Hilfe. Bjørk leidet unter wiederkehrenden Albträumen. Der Anruf ihrer ehemaligen Klientin Azora, die sich mit ihr treffen will und die sie zunächst abwimmeln will, doch ein Satz Azoras ändert ihre Meinung:"Ich weiß, wieso du Albträume hast.""Die den Schnee fürchten" punktet an erster Stelle mit seiner besonderen Stimmung: Das winterliche Norwegen wird intensiv und bedrohlich beschrieben, sodass man die Kälte förmlich spürt. Die Protagonistin Bjørk Isdahl ist differenziert gezeichnet - ihr Bruch mit der Vergangenheit, die psychischen Narben und ihre ruppige Art waren manchmal etwas nervig, ihre Probleme sind vielleicht etwas zu überspitzt, doch die Autorin H. S. Palladino schildert ihre Kämpfe mit Schuld, Albträumen und den eigenen Grenzen gut, nur weil mir Bjørk nicht sehr sympathisch war, blieb sie mir leider etwas fremd, auch ihre Motivation für das, was sie tat, konnte ich nicht immer nachvollziehen, ändert das nichts an der meiner Meinung nach guten Erzählweise der Autorin.Kritisch sehe ich allerdings die Dramaturgie des Romans. Der Einstieg ist spannend, im Mittelteil allerdings verliert sich die Handlung zeitweise in psychologischen Beschreibungen und Rückblenden, das lässt das Lesevergnügen doch etwas schwächeln. Manche Passagen wirken konstruiert oder zu verschachtelt - insbesondere das Spiel mit Realität und Traum sorgt gelegentlich für Verwirrung, ohne wirklich zusätzliche Spannung zu erzeugen. Wer einen klassischen, stringenten Thriller erwartet, wird vermutlich enttäuscht; hier überwiegen psychologische Tiefe und die Auseinandersetzung mit persönlichen Problemen.Nichtsdestotrotz gelingt es dem Buch, immer wieder überraschende Wendungen einzubauen und ganz zum Schluss den Bogen zum Anfang überzeugend zu schließen. Für Leserinnen und Leser, die Skandinavien-Krimis mit Mut zu psychologischer Komplexität suchen, ist der Roman definitiv empfehlenswert. Wer jedoch großen Wert auf einen rasanten Plot legt, sollte seine Erwartungen anpassen. Insgesamt ein atmosphärisch dichter und eigensinniger Auftakt - mit kleinen Schwächen, aber Potenzial für kommende Bände.